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Abstract

In diesem Heft geht es um Gefühle – um Liebe und Ekel, um Traurigkeit, Freude, Misstrauen und um Gefühllosigkeit. Anknüpfend an unterschiedliche Theorien – von Julia Kristevas Konzept des Abjekten (im Beitrag von Dilek Tepeli und Jürgen Straub) über Schwarz-Friesels soziolinguistischen Zugriff auf das ‚Emotionspotential‘ von Texten (bei Rita Luppi und Ramona Pellegrino) zu Luhmanns ‚Liebe als Passion‘ (bei Christoph Kleinschmidt) – die im Zuge des trans- und interdisziplinären affective turn der individual-psychologischen, sozio-politischen, kulturellen oder ökonomischen Relevanz von Affekten und Emotionen nachspüren, untersuchen die Beiträge in diesem Heft „erzählte Gefühle“. Während der facettenreiche Zusammenhang von Erzählen und Gefühlen in jüngerer Zeit häufig aus einer rezeptionsästhetischen Perspektive erörtert wurde, stehen in diesem DIEGESIS-Heft ‚erzählte Gefühle,‘ also die narrative Repräsentation, (De-)Konstruktion und Evaluation von Affekten und Emotionen im Mittelpunkt des Interesses.

Wie bei DIEGESIS üblich liegt dabei ein Schwerpunkt auf der Analyse faktualer Erzähltexte: Martín Koval analysiert Krankheitserzählungen aus einem öffentlichen Krankenhaus in Buenos Aires; Rita Luppi und Ramona Pellegrino untersuchen Interviews mit dem in Wien geborenen israelischen Journalisten Ari Rath, die Teil des von Anne Betten et al. zusammengestellten ‚Israelkorpus‘ sind; und Dilek Tepeli und Jürgen Straub befassen sich mit ‚Schimpfklatsch‘ in Gruppendiskussionen und narrativ-biographischen Interviews mit türkeistämmigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in Deutschland aufgewachsen sind und leben. In seinem Beitrag „From Feelings to Text: Models of Discursive Arrangement in the History of Emotions“ nimmt Philippe Carrard eine metahistoriographische Perspektive ein.

Die hier versammelten Beiträge zu ‚erzählten Gefühlen‘ in fiktionalen Erzähltexten legen den Schluss nahe, dass die innovative Aushandlung komplexer Gefühlswelten ihren kulturellen Ort vor allem im Bereich der Literatur hat. Lorna Martens identifiziert und skaliert in ihrem Beitrag „Emotions and Words“ die verschiedenen Techniken, mit Hilfe derer Autorinnen und Autoren Emotionen in ihre Erzählungen einbringen und lenkt schließlich den Blick auf aktuelle (semi-)autobiographische Erzähltexte, die versuchen Gefühlserlebnisse, für die es keine Worte gibt, narrativ zu fassen. Christoph Kleinschmidt spürt Leif Randts Versuch nach, das Konzept der ‚romantischen Liebe‘ in seinen imaginierten Welten durch eine gänzlich neue Gefühlskultur der ‚PostPragmaticJoy‘ abzulösen. Denise Wongs Analyse der zwischen Ich- und Du-Erzählungen changierenden Erzählsituation in Tsitsi Dangarembgas Tambudzai-Trilogie betont schließlich die gesellschaftspolitische Bedeutung des Erzählens von Gefühllosigkeit sowie eines gefühllosen Erzählens.

Monika Fludernik hat in diesem Jahr den renommierten Wayne C. Booth Lifetime Achievement Award der International Society for the Study of Narrative erhalten. Wir freuen uns außerordentlich, dass sie DIEGESIS aus diesem Anlass ein Interview gegeben hat, das Sie in der Rubrik „The Shape of Things to Come“ finden. Herzlichen Glückwunsch zu dieser ehrenvollen Auszeichnung, Frau Professorin Fludernik!

Abgerundet wird das Heft durch vier Rezensionen. Besprochen werden City Scripts. Narratives of Postindustrial Urban Futures (2023), herausgegeben von Barbara Buchenau, Jens Martin Gurr und Maria Sulimma; Die Krise der Narration (2023) von Han Byung-Chul; Post-Postmodernist Fiction and the Rise of Digital Epitexts (2023) von Virginia Pignagnoli; und La puissance projective. Intrigue narrative et projet urbain (2021), verfasst von Pieter Uyttenhove, Bart Keunen und Lieven Ameel.

Viel Spaß beim Blättern und Lesen!

Veröffentlicht

15.07.2024