Über dieses Heft
Abstract
Wie die Zeit vergeht … Vor zehn Jahren gründeten wir als Mitglieder des Wuppertaler Zentrums für Erzählforschung (ZEF) DIEGESIS als einen digitalen, weltweit frei zugänglichen Ort des Austauschs und der Präsentation von Erkenntnissen der transdisziplinären Erzählforschung. Erfreulich schnell hat sich unsere Zeitschrift auf dem internationalen Markt etabliert und ist nunmehr zu einer festen Größe geworden. Damit das so bleiben kann, wurden technologische Neuerungen notwendig, mit denen sich auch der äußere Auftritt von DIEGESIS leicht verändert hat. Ein weiterer Schritt ist nun die Migration zu OJS 3 als technische Voraussetzung dafür, dass DIEGESIS auch in den kommenden Jahren in der gewohnten Qualität substanzielle Beiträge zur lebendigen internationalen Gemeinschaft von Erzählforscher*innen leisten kann. Mit Hilfe der neuen Software bleiben wir auch in Zukunft unserer seit nunmehr zehn Jahren praktizierten open access policy treu und führen trotz Peer-Review-Verfahren keine Bezahlschranken ein. Die Beiträge werden weiterhin von der Deutschen Nationalbibliothek archiviert. Auch von den Autor*innen verlangen wir keine Gebühren.
2012 zogen wir eine Art Bilanz und eröffneten DIEGESIS mit dem Titel „Erzählforschung im 21. Jahrhundert. Ein interdisziplinärer Rückblick“. Siebzehn Hefte nach einer solchen narratologischen Selbstvergewisserung nehmen wir den technologisch notwendigen Einschnitt zum Anlass, um in einem Sonderheft unter dem Titel „Warum Narratologie?“ als Herausgeber*innen über die Zukunft, mögliche Aufgaben, Projekte und Chancen von Erzähltheorie zu reflektieren. Zu diesem Zweck hat sich jede(r) Herausgeber*in mit einem Thema befasst, das den persönlichen Forschungsinteressen entspricht. Im Ergebnis ist ein Reigen von Beiträgen entstanden, die jeweils individuelle Ansätze und Perspektiven präsentieren, aber hoffentlich auch exemplarisch für übergreifende aktuelle Entwicklungen stehen.
Matei Chihaias Beitrag untersucht die journalistische Berichterstattung über die mexikanische Region Sinaloa in der ZEIT auf Ereignishaftigkeit und Erzählwürdigkeit; er wendet dabei Methoden der Computerphilologie an. Sandra Heinen nimmt die postkoloniale Narratologie in den Blick und schlägt vor, narratologische Analysen postkolonialer Texte von einer einschränkenden Anbindung an postkoloniale Forschungsfragen zu befreien. Katharina Rennhak rückt den Genderaspekt in den Mittelpunkt ihres Beitrags, indem sie darauf hinweist, dass viele von Frauen verfasste Romane sich um die narrative Konstruktion männlicher Identitäten drehen. Sie geht der Frage nach, warum sich die Literaturwissenschaft für dieses Phänomen bisher kaum interessiert, und zeigt am Beispiel von Romanen zeitgenössischer irischer Autorinnen, welchen Beitrag ein kontext-orientierter narratologischer Zugriff zur Erschließung dieses Textkorpus’ leisten kann. Michael Scheffel weist in seinem Aufsatz auf eine Lücke kognitionspsychologisch akzentuierter narratologischer Ansätze hin, die sich zur Zeit (noch) nicht dafür interessieren, dass Erzählungen nicht allein im Kopf von Leser*innen, sondern auch auf Papier und im Kopf von sie produzierenden Subjekten entstehen. Am Beispiel der Genese von Erzähltexten Arthur Schnitzlers entwickelt er Perspektiven einer genetischen Narratologie. Roy Sommer erweitert das Konzept narrativer Dynamik um transtextuelle und transaktionale Dimensionen; dieser theoretische Beitrag zu einer kontextorientierten Poetik eröffnet neue Sichtweisen auf dialogische Konstellationen in der Erzählliteratur, z.B. die Beziehungen zwischen Karl Ove Knausgårds ‚langsamer‘ Autofiktion und dem autobiographischen Roman October Child (2021) von Linda Boström Knausgård.
Mit diesem Jubiläumsheft führen wir außerdem zwei neue Rubriken ein. Die bisher unter dem Stichwort „Meine Narratologie” geführten Interviews werden abgelöst von einem Format mit dem Titel „Neue Horizonte”. Hier werden laufende und zukunftsweisende narratologische Forschungsprojekte vorgestellt. Die neue Reihe beginnt mit der Präsentation eines Verbundprojektes, das von Maria Mäkelä an der Universität Tampere, Finnland, geleitet wird. „Instrumental Narratives” untersucht Grenzen des Erzählens und erarbeitet in diesem Zusammenhang eine „erzähl-kritische Theorie des Erzählens“ („a story-critical narrative theory“). Wenn Sie Ihre eigenen Projekte in dieser neuen DIEGESIS-Rubrik vorstellen möchten, wenden Sie sich gerne an die Redaktion: diegesis@uni-wuppertal.de.
In der zweiten neuen Rubrik mit dem Titel „Aus der Welt der Narrative” beleuchten Autor*innen essayistisch ausgewählte Phänomene gegenwärtiger gesellschaftlicher Diskurse. Die Texte dieser Rubrik erproben die Relevanz eines narratologischen Blicks auf aktuelle Debatten. Im vorliegenden Heft bietet Michael Butter eine kritische Diskussion des Trends, Verschwörungstheorien in ‚Verschwörungsnarrative‘ umzubenennen.
Wie üblich schließt auch das aktuelle Heft mit Rezensionen von Neuerscheinungen. Besprochen werden A Poetics of Plot for the Twenty-First Century: Theorizing Unruly Narratives von Brian Richardson (2019) und Erzählte Zeiten im Roman der frühen Neuzeit. Eine historische Narratologie der Zeit von Lukas Werner (2018).
Wir danken unserem Partner vor Ort, der Universitätsbibliothek Wuppertal, für die technische Unterstützung, der DIEGESIS-Redaktion für all die Mühe und Sorgfalt, die sie auch für die Produktion dieses Heftes verwendet hat; und nicht zuletzt bedanken wir uns bei unseren externen Beiträger*innen und bei all unseren Leser*innen: Herzlich willkommen zurück! Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre dieses DIEGESIS Jubiläumhefts zur Frage „Warum Narratologie?”
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