Über dieses Heft
Abstract
Die Erforschung von Computerspielen hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Bereich der transmedialen Narratologie entwickelt. Am Anfang dieser Entwicklung stand jedoch eine Grundsatzdiskussion über die Berechtigung narratologischer Analysen von Computerspielen: In der sogenannten ‚Ludologie vs. Narratologie‘-Debatte, die seit Ende der 1990er Jahre in der Computerspielforschung geführt wurde, bezweifelte die Seite der Ludologen vehement, dass eine erzähltheoretische Betrachtung von Computerspielen den Besonderheiten des Mediums gerecht werden kann. Die Spezifik des Mediums, so die Ludologen, läge vielmehr in der spielenden Interaktion des Spielers mit dem Medium, für deren Erfassung spieltheoretische Konzepte besser geeignet seien als erzähltheoretische Analysekategorien.
Inzwischen hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass die ‚Ludologie vs. Narratologie‘-Debatte im Zusammenhang mit der Etablierung der Game Studies als eigenständiger Disziplin zu sehen ist und die deutliche Abgrenzung der Ludologen von der Erzählforschung in erster Linie institutionelle Gründe hatte. Aber die Gegenüberstellung der ludischen und der narrativen Elementen des Computerspiels wurde nicht grundsätzlich verworfen, sondern erfährt in der aktuellen Forschung eine Weiterentwicklung. Dies verdeutlichen die beiden ersten Beiträge in diesem Heft, die das Verhältnis von Interaktivität und Narrativität im Computerspielen untersuchen. Kai Matuszkiewicz führt zur Beschreibung des Verhältnisses von narrativen und interaktiven Elementen im Computerspiel das Hybridkonzept der Internarrativität ein. Internarrativität ist dabei das Potential eines Computerspiels, vom Spieler sowohl als Spiel als auch als Erzählung aktualisiert werden zu können, und sie ist um so größer, je ausgewogener das Verhältnis von Narrativität und Interaktivität ist.
Auch Ralph Müller betrachtet Narrativität und Interaktivität als gradationsfähige Eigenschaften von (Computerspiel-)Texten, er geht jedoch davon aus, dass Narrativität und Interaktivität widerstreitende Texteigenschaften sind. Diese These illustriert er durch die Gegenüberstellung eines in elektronischer Form publizierten, aber eine konventionelle Rezeption nahelegenden literarischen Texts, eines literarischen Hypertexts sowie eines textbasierten Computerspiels.
Ähnlich wie beim Medium Film scheint es auch im Fall von Computerspielen sinnvoll, den Begriff der Erzählung nicht an das Vorhandensein einer Erzählinstanz zu binden, denn die Narrativität von Computerspielen ist typischerweise nicht auf der Ebene des discours, sondern auf der Ebene der histoire – in Form einer repräsentierten Geschichte – angesiedelt. Aber auch Konzepte zur Beschreibung der histoire-Ebene lassen sich nicht eins zu eins von literarischen Texten auf Computerspiele übertragen. Dies betont der dritte Beitrag dieses Hefts: Um der besonderen Repräsentation, Rezeption und Funktion von Figuren im Computerspiel gerecht zu werden, stellen Felix Schröter und Jan-Noël Thon in ihrem Beitrag eine medienspezifischen Figurentheorie zur Diskussion.
Passend zum thematischen Schwerpunkt dieses Hefts schließlich beantwortet Mary-Laure Ryan, eine der wichtigsten Vertreterinnen der transmedialen Erzählforschung, in der Kolumne „My Narratology“ unsere Fragen nach ihren persönlichen Erfahrungen, Einschätzungen und Vorlieben zu Erzählungen und Erzählforschung.
Den aktuellen Stand der Forschung wie der Diskussionen im Grenzbereich von Game Studies und Narratologie skizziert zudem ein Tagungsbericht von Hartmut Koenitz zur 6th International Conference for Interactive Digital Storytelling: „Connecting Narrative Worlds“, die vom 6. bis 9. November 2013 in Istanbul stattfand.
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