Dennis Korus

Drehbuchnarratologie

Jan Heiner Gebhardts Erschließung eines Analysesets für einen fiktionalen ‚Gebrauchstext‘

Jan Heiner Gebhardt (2016): Das Drehbuch als fiktionaler Erzähltext. Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2016 (= NARRARE – Interdisziplinäre, intermediale und transgenerische Schriftenreihe zur Narratologie 4). 186 S. EUR 79,80. ISBN 978-3-830-09046-5

Ein zentrales Anliegen der trans- oder intermedialen Erzählforschung ist die Erweiterung, Adaption und Variation der ursprünglich für das Leitmedium Roman und die ihm verwandten Formen schriftlich fixierten Erzählens entwickelten erzähltheoretischen Kategorien im Hinblick auf andere narrative Medien wie das Drama, das Computerspiel oder den Film. Daran anknüpfend möchte der vorliegende Band nun einen Beitrag zur interdisziplinären Narratologie leisten. Dafür nimmt Jan Heiner Gebhardt allerdings eine medial schriftliche Erzählform in den Fokus, die ihrerseits wiederum in enger Verbindung mit dem Erzählmedium Film steht. In Anlehnung an Markus Kuhns Überlegungen zur Filmnarratologie (Kuhn 2011) analysiert Gebhardt nämlich das bislang vergleichsweise wenig beachtete Genre des fiktionalen Drehbuchs aus narratologischer Perspektive: „Worin bestehen die besonderen narratologischen Merkmale des Drehbuchs?“ (S. 2).

Das Drehbuch aus historischer Perspektive

Gebhardt beginnt mit einem Überblick über die Entwicklung des Drehbuchs, dessen Geschichte zwar von der des Films gerahmt wird, aber sich nicht auf diese reduzieren lässt. Wichtige Stationen wie die Erfindung des Tonfilms werden doppelt beschrieben: zunächst als Teil der Filmgeschichte, dann als Ursache (oder auch Auswirkung) entsprechender Stationen in der Drehbuchgeschichte. Dabei bereitet Gebhardt auch die – für das weitere Anliegen notwendige – Trennung von Drehbuch- und Dramentext vor, z. B. durch die Erwähnung der Tatsache, dass das Drehbuch erst durch die Erfindung des Tonfilms immer mehr Züge des Dramentextes übernahm. Deutlich wird zudem, dass das Drehbuch trotz seines (häufig) fiktionalen Charakters insbesondere als Gebrauchstext fungierte bzw. bis heute als solcher fungiert. Gerade mit zunehmender Länge und Komplexität der Filme wurde die Planung und Organisation des Drehs durch ein Skript notwendig. Auch bei diesem Beispiel wird von Gebhardt auf die „historische Entwicklung in Abhängigkeit vom Film“ (S. 157) verwiesen. Diese schlägt sich zudem in der Textgestalt nieder, insbesondere im nach Kerstin-Luise Neumann sogenannten „Technotext“ (S. 22), d.h. der Nutzung von Begriffen wie ‚Nahaufnahme‘ und ‚Kamerafahrt‘, welche als Anweisungen für den Kameramann oder den Cutter verstanden werden können.

Während der Film sich „zu einem erzählenden Medium gewandelt“ hat und „in der Phalanx der etablierten Künste aufgerückt“ (S. 19) ist, bleibt aber die Frage nach der Eigenständigkeit des Drehbuchs als narrative Form „ungeklärt“ (S. 19).

Dass das Drehbuch in den Literatur- und Medienwissenschaften noch weitgehend durch seine Funktion für den Film(-dreh) bestimmt wird, liegt Gebhardt zufolge daran, „dass die Bestimmung der literarischen Identität des Drehbuchs wesentlich von der Perspektive der Betrachtung abhängt“ (S. 158). Diese ist bisher von drei Aspekten geprägt, welche die literarische Eigenständigkeit des Drehbuchs in Frage stellen, nämlich seine Unabgeschlossenheit und damit Uneigenständigkeit, die Unzugänglichkeit des Textmaterials sowie seine gattungstheoretische Unbestimmtheit.

Das Drehbuch: Gebrauchstext oder literarisches Werk?

Die fehlende Bestimmung des Drehbuchtextes in der Forschungsliteratur nimmt Gebhardt zum Anlass, eine eigene Definition des Untersuchungsgenstands vorzunehmen. Als unproblematisch betrachtet Gebhardt dabei die mediale Identität des Drehbuchs. Pier Paolo Pasolonis Idee, das Drehbuch sei in seiner Rolle als ein schriftsprachliches Zeichen durch einen doppelten Verweis gekennzeichnet, der über den üblichen Symbolcharakter hinaus „die Welt im Spiegel der besonderen Darstellungs- und Wahrnehmungssituation im Film“ (S. 48) beträfe, wird von Gebhardt übernommen. Er leitet daraus die „besondere Eigenschaft des Drehbuchs […], eine filmische Wahrnehmung beim Leser auszulösen“ (S. 39), ab.

Gebhardt benennt zwei Hauptkategorien, in denen das Drehbuch gedacht wird: die des funktionalen Gebrauchstextes und die des eigenständigen, literarischen Werks (vgl. S. 40). Beide Kategorien versteht er als Abstrahierungen des komplexen Objekts ‚Drehbuch‘, „um einer bestimmten Perspektive den Vorrang zu geben“ (S. 45). Für und wider die Literarizität des Drehbuchs argumentiert Gebhardt entlang dreier von Jost Schneider eingeführter Erkennungsmerkmale des Literarischen. Schritt für Schritt wägt Gebhardt ab, inwiefern das Drehbuch diese Kennzeichen erfüllt: erstens die Fiktionalität, die durch Gebhardts eigene Eingrenzung des Gegenstandsbereichs bereits eingehalten wird; zweitens die Fixierung, die beim Drehbuch in der Regel schwach ausgeprägt ist, da das Drehbuch in der Regel nicht öffentlich zugänglich ist; drittens die künstlerische Sprachverwendung (Stil). Während also der zweite Punkt sogar eher gegen den literarischen Status des Drehbuchs spricht, beschreibt Gebhardt bzgl. des dritten Merkmals, dass neben dem Stil der Dialoge auch die Art und Weise, wie eine audiovisuelle Vorstellung der Geschichte evoziert wird, als Stil verstanden werden kann.

Zwar ist das Drehbuch, soviel sieht auch Gebhardt, also nicht sonderlich als Literatur etabliert, dennoch bildet er zuletzt folgende Arbeitsdefinition:

Das Drehbuch ist ein schriftsprachliches Kunstwerk, das einen fiktionalen Inhalt als Produkt eines kreativen Schaffensprozesses präsentiert. Es bedient sich sprachkünstlerischer, dramaturgischer und formaler Mittel und ist konstruiert, um die Imagination einer fingierten erzählten Welt zu evozieren“ (S. 53)

Das Narrative des Erzähltextes

Um die Einordnung des Drehbuchs als literarischen Text zu festigen und auch, um eine narratologische Untersuchung des Drehbuchs zu legitimieren, widmet sich Gebhardt im nächsten Schritt der gattungstheoretischen Frage, inwiefern das Drehbuch als narrativ gelten kann. Wenn man jede Darstellung / Repräsentation temporaler Veränderungen als narrativ versteht, ist das Drehbuch sicher ein Erzählmedium. Während Filmnarratologen eine solche weite Bestimmung für die Einordnung des Films als Narrativ häufig bereits ausreicht, genügt sie Gebhardt zufolge für einen schriftlich codierten Text nicht. Er arbeitet stattdessen mit einer in Anlehnung an Birgit Schmidt gewählten Definition des Narrativen. Demnach ist als „narrativ im engeren Sinne […] ein Text definiert, wenn eine Zustandsveränderung durch eine vermittelnde Instanz präsentiert wird“ (S. 160).

Ob das Drehbuch der Anforderung genügt, im Sinne von Gebhardts Arbeitsdefinition narrativ zu sein, wird zunächst u. a. mit Hilfe der von Manfred Pfister eingeführten Kriterien zur Differenzierung von Drama und Narration geprüft. So hält sich zwar das Verhältnis von Raum und Zeit im Drehbuchtext eher an die Spielregeln des Narrativen. Die dem Dramentext eigene „Plurimedialität der Textpräsentation“ (Pfister S. 24), welche durch die Bühnenanweisungen zustande kommt, ist im Drehbuch durch die sogenannte dramatic narrative jedoch wieder verstärkt vorhanden. Aber: Van Stapeles Begriff des dramatic narrative „lässt sich […] auch zu Gunsten der Interpretation des Drehbuchtextes als Erzähltext wenden“ (S. 161), denn der dramatische Text ist dann, wie bereits die Bezeichnung markiert, eben narrativ.

Folgt man nun jenen Ansätzen, die auch dem Drama narrative Elemente zuschreiben, ist es in der Folge berechtigt, ebenjene narrativen Elemente eines Drehbuchtextes zu untersuchen. Die dennoch wichtige Unterscheidung zwischen Dramentext und Drehbuch sieht Gebhardt beispielsweise in der Trennung vom „Als-Ob-Modus“ (S. 66) im Theater und dem filmischen „Rezeptionsmodus des ‚So-Wie‘“ (S. 66) oder auch in der Sprache, die sich im Theater häufiger von der Alltagssprache abhebt als die im Drehbuch gewählte Sprache.

Damit hat Gebhardt nun die Legitimationsbasis dafür geschaffen, das (fiktionale) Drehbuch als Erzähltextsorte eigener Art zu analysieren. Für ebenjene Analyse benötigt es aber auch die entsprechende Terminologie. Bei der zwecks des Aufbaus eines entsprechenden Modells erfolgenden Erarbeitung der narrativen Elemente des Drehbuchs lehnt sich Gebhardt vor allem an Genettes Terminologie aus Die Erzählung an, aber auch Kuhns Filmnarratologie wird im Folgenden – eben weil das Drehbuch oftmals auf den Film verweist – immer wieder von ihm herangezogen.

Stimme

Der Kategorie der Stimme nähert sich Gebhardt vor allem über die sich daraus ergebende Vorstellung verschiedener Kommunikationsebenen. Dabei nennt er die extradiegetische narrative Instanz (im Folgenden: NI) als diejenige, in deren Konstitution sich das Drehbuch von anderen narrativen Texten unterscheidet. Die NI ist stets heterodiegetisch und auch die Auswahlmöglichkeiten bzgl. der Zeit der Narration sind im Falle des Drehbuchs stark begrenzt, denn immerhin „kennt das Drehbuch auf extradiegetischer Ebene nur die gleichzeitige Narration“ (S. 79). Dass Gebhardt diese irrtümlich mit der Erzählung im Präsens gleichsetzt, mag der Knappheit der Darstellung geschuldet sein; dass er intra- und metadiegetische Instanzen nur in der Zusammenfassung Genettes bespricht, liegt daran, dass beim Drehbuch dieselben Gesetzmäßigkeiten gelten wie in jedem schriftlichen Erzähltext – auch bzgl. der Person. Folglich ist eine weitere Modifikation der Terminologie zur Applikation nicht weiter nötig. Die Möglichkeiten zur gleichzeitigen Erzählung verschiedener Ereignisse im Film – z. B. in einer mit einem Voice-Over und Dialog unterlegten Filmszene – können im Drehbuch daher lediglich fingiert werden.

Ebenjene Fingierung nutzt Gebhardt als Aufhänger, um seine Drehbuchnarratologie zwischen Genettes Analyseset und Kuhns Erzähltheorie des Films zu verorten: Da der Drehbuchtext schriftlich fixiert ist, gilt zunächst einmal das Kommunikationsmodell für schriftlich codierte Erzähltexte. Dass Kuhn für den Film aber die Existenz einer visuellen Erzählinstanz attestiert, die im Drehbuchtext konstruiert wird, berücksichtigt Gebhardt im Folgenden, indem er für das Drehbuch eine „pseudo-audiovisuelle Subinstanz“ (S. 78) (im Folgenden: PS) annimmt. Die daraus resultierende Zweistimmigkeit der Erzählinstanz ist laut Gebhardt „dabei in den inneren Gesetzen des Drehbuchs als Textsorte angelegt“ (S. 77f.), da nicht nur die Redewiedergabe und die Darstellung der Geschichte in diesem enthalten sind, sondern auch „Angaben […], die eine ,pseudoaudiovisuelle‘ Gleichzeitigkeit“ (S. 77) der verschiedenen Erzählmittel implizieren, obwohl das Zeichenmaterial des Drehbuchs keine Bilder und Töne enthält. Bei der PS handelt es sich einerseits um eine Erzählerfunktion im Genette’schen Sinne. Andererseits möchte Gebhardt sie darüber hinaus auch in Distanz zur Erzählinstanz verstanden wissen, da sie formal andere Orte im Drehbuchtext besetzt. Durch eine ihr eigene Motivzeile und elliptische Einschübe übt sie in zweierlei Weise Einfluss auf das durch den Drehbuchtext evozierte Bild aus: Sie gibt ihm eine temporale und lokale Rahmung und „lenkt die Wahrnehmung des Geschehens“ (S. 80). Im Unterschied zum Drehbuch ist die PS, wie Gebhardt sie charakterisiert, am Diskurs des Films nicht beteiligt.

Distanz

Im Zentrum der Distanzbestimmung nach Genette steht für Gebhardt die Formel „Information + Informant = K(onstant)“ (Genette S. 106). Durch die genrebedingten Beschränkungen der NI bzgl. der ‚Stimme‘ wird die „narrative Distanz […] hauptsächlich durch den Faktor Information beeinflusst“ (S. 93). Statt also wie Genette die Distanz aus Summe von Erzählpräsenz und Informationsgehalt zu verstehen, führt Genette ein neues System ein, in dem die jeweiligen Werte so ein- und abgetragen werden, dass die Information ein höheres Gewicht erhält. Allerdings formuliert Gebhardt hier keine neue Formel, sondern beschreibt ein mehrschrittiges, aber auf der ikonischen Ebene verhaftetes Verfahren zur Bestimmung des Distanzwertes D auf einer Skala zwischen 0 und 9 (minimale bzw. maximale Distanz).

Neben der „Erzählung von Ereignissen“ (Genette S. 105) betrachtet Gebhardt – wie schon Genette – auch die „Erzählung von Worten“ (Genette S. 108). Hier bestätigt Gebhardt, dass „die berichtete Rede der häufigste Typ der Erzählung von Worten“ (S. 98), ist, diese aber – anders als im Drama – stärker von NI-Kommentaren umrahmt wird, während transponierte und erzählte Rede in Bezug auf die NI keine Rolle spielen. Zusätzlich betrachtet Gebhardt aber auch die „Erzählung filmischer Audiovisualität“ (S. 102). Eine dahingehende „Distanz in der Erzählung filmischer Audiovisualität kann nur als Distanz gegenüber der Sphäre des Filmischen verstanden werden“ (S. 103).

Fokalisierung

Obwohl Gebhardt die von Kuhn an Genette gerichtete Kritik, er würde Wissen und Wahrnehmung ungültig zusammenwerfen, so für schriftliche Texte nicht teilt, verlangt die Analyse des Drehbuchs, folgt man Gebhardt, in der Tat nach einer genaueren Trennung zwischen Wahrnehmungs- und Wissensregulierung. Zur Leitfrage wird bzgl. der Fokalisierung die folgende: „Macht sich die narrative Instanz eine Position innerhalb des diegetischen Universums zu eigen, die einer Einschränkung ihrer visuellen bzw. auditiven Wahrnehmung entspricht, die sich in der Erzählung niederschlägt? Und wenn ja, welche?“ (S. 169). In Anlehnung an Kuhn, der neben die Fokalisierung (Wissen) die Okularisierung (visuelle Wahrnehmung) und Aurikalisierung (auditive Wahrnehmung) stellt, spricht Gebhardt von einer „quasi-Okularisierung“ (S. 121) und einer „quasi-Aurikalisierung“ (S. 122), um der doppelten Verweisstruktur des Drehbuchs gerecht zu werden. Beide Aspekte treten, wie die Fokalisierung, in drei Modi auf: extern, intern und als Nullquasiokularisierung bzw. Nullquasiaurikalisierung. Hierzu bemerkt Gebhardt beispielsweise auch, dass die mit ihnen assoziierten Wahrnehmungsregulierungen im Dramentext kaum eine Entsprechung finden dürften.

Zeit

Die Kategorie der Zeit lässt sich laut Gebhardt am einfachsten auf das Drehbuch anwenden. Bezüglich der Ordnung spricht Gebhardt lediglich einen Sonderfall an, der genaugenommen der Achronie zugeordnet werden kann, von Gebhardt aber dennoch als Spezialfall angesehen wird. Es handelt sich um einen „Teil der Erzählung, der sich zeitlogisch nicht zur Geschichte in Beziehung setzen lässt und gewissermaßen als ‚Zwischenspiel‘ die Basiserzählung unterbricht“ (S. 130).

Insbesondere bei der Übertragung der Unterkategorie der Dauer sieht Gebhardt nur wenige Probleme. Als Faustregel zur Erzählzeit formuliert er, dass eine Drehbuchseite etwa einer Minute Film entspricht. Durch die Konventionen der Filmlänge bleibt damit eine wichtige Komponente in Bezug auf die Erzählgeschwindigkeit zudem relativ konstant. Daher zeichnet sich das Drehbuch Gebhardt zufolge durch ein vergleichsweise hohes Durchschnittstempo aus. Gleichzeitig ist es – wie bei Kuhn auch für den Film attestiert – von einem Wechsel zwischen Szene und Ellipse (zwischen den Filmszenen) geprägt. „Eine weitere Besonderheit des Drehbuchs hinsichtlich der Erzählgeschwindigkeit ist die Montagesequenz“ (S. 154), die aber im Vergleich zum Film lediglich eine fingierte Form der Raffung darstellt.

Auch die Anmerkungen zur Frequenz fallen vergleichsweise spärlich aus und beziehen sich vor allem darauf, dass in direkter Konsequenz zu den Einschränkungen der NI bzgl. der Stimme – insbesondere bzgl. des gleichzeitigen Erzählens – „die Möglichkeiten iterativen Erzählens auf extradiegetischer Ebene beschränkt“ (S. 155) ist.

Kritik

Die bisher beschriebene Argumentationskette Gebhardts soll nun abschließend noch bewertet werden. Zu den Stärken der Arbeit gehört dabei, so viel vorab, insbesondere der nachvollziehbare Gesamtaufbau ebenjener Argumentationsstruktur. Von einer Annäherung an das Drehbuch als eigenständige, literarische Form über eine gattungstheoretische Einordnung bis hin zu einer – doppelt zu verstehenden – Anwendung der Genette’schen Terminologie auf die ‚neue‘ Erzählform des Drehbuchs ist jeder Schritt verständlich und folgt logisch auf den anderen.

Gebhardts Verdienst ist es, eine bisher kaum etablierte Sichtweise auf das Drehbuch aufzunehmen und dabei plausibel zu machen, weshalb auch eine Narratologie des Drehbuchs ihre Berechtigung hat. Die Schwierigkeiten, denen er dabei entgegentritt, merkt man der Argumentation aber vor allem dann an, wenn Gebhardt gleich mehrere Pfade betreten muss, um diesen Status des Drehbuchs zu erarbeiten. Als Beispiel kann die gattungstheoretische Einordnung des Drehbuchs dienen: Es ist wichtig, dass Gebhardt auf Pfisters Merkmale des Narrativen (bzw. genauer: narrativen Dramas) eingeht und auch darstellt, wo das Drehbuch diese eben nicht oder nur teilweise erfüllt – ähnliches geschieht übrigens auch bei der Besprechung des literarischen Status des Drehbuchs. Gleichzeitig negiert sich der entsprechende Abschnitt selbst, wenn im darauffolgenden dann ohnehin Van Stapeles Ansatz, das Drama als Narrativ zu verstehen, als Legitimation einer erzähltheoretischen Betrachtung des Drehbuchs herangezogen wird.

Immer wieder spricht Gebhardt die allzu starke Generalisierung einiger von ihm genannter Ansätze – z. B. zur Unterscheidung des Literarischen vom Nicht-Literarischen – an. Dass die entsprechenden Kriterienkataloge lediglich als „Bestimmungshilfen“ (S. 60) gelten können, nimmt Gebhardt manchmal etwas vorschnell zum Anlass, jene Aspekte, die gegen den Status des Drehbuchs als fiktionalen Erzähltext sprechen, beiseitezuschieben. Gleichzeitig ist aber der dahinterstehende Gedanke, dass, auch wenn das Drehbuch nicht (nur) als Narrativ gelten kann, die narrativen Elemente darin doch einer Analyse bedürfen, wieder nachvollziehbar. Und sobald die Statusfrage geklärt ist und sich Gebhardt der Genette’schen (und Kuhn’schen) Terminologie annimmt, werden die Stärken seines Ansatzes deutlich. Mit der gleichzeitigen Legitimation der Betrachtung des Drehbuchs als narrative Textsorte, der Erarbeitung eines erzähltheoretischen Analyseinstrumentariums und der Erprobung dieser an Drehbuchbeispielen hat sich Gebhardt viel vorgenommen – diese einzelnen Aspekte greifen aber gerade bei der Erarbeitung des Analysesets gut ineinander. Lediglich die konkrete Analyse von Drehbuchtexten mag dem einen oder anderen etwas zu kurz geraten sein.

Dafür wird die Weiterentwicklung der narratologischen Terminologie in Bezug auf das Drehbuch in der Regel ausführlich und facettenreich begründet. Hier zeigt sich jedoch auch, dass Gebhardt manchmal den komplizierten Weg geht. Ein Beispiel: Sein System, D zu berechnen, berücksichtigt die Besonderheiten des Drehbuchs über alle Maßen, mutet aber zugleich zu umständlich an – zumal Gebhardt nicht weiter zeigt, wofür die Quantifizierung von D auf einer Skala von 0 bis 9 benötigt wird. Die Einführung der quasi-Aurikalisierung und quasi-Okularisierung wird sinnvoll hergeleitet, ihr fehlt aber etwas an Innovationskraft. Als Herzstück kann man die Betrachtungen der NI und der PS verstehen: Hier wird Gebhardt den oben genannten Zielen vor allem gerecht. Dieser Abschnitt ist allerdings innerhalb der Diskussion der Genette’schen Kategorien der längste in einem ohnehin vergleichsweise kurzen Werk.

Leider endet aber jede Besprechung der verschiedenen narrativen Kategorien bereits mit der Applikation der Genette’schen und Kuhn’schen Begrifflichkeiten auf das Drehbuch. So bleibt Gebhardts Annäherung an das Drehbuch als Erzähltext in der klassischen Narratologie verhaftet, was an sich kein Mangel sein müsste, allerdings wichtige Lücken lässt, denn: Immerhin wird mit Gebhardts zentraler Fragestellung „ob und inwiefern die Textsorte Drehbuch durch erzählerische Mittel in besonderer Weise eine spezifisch filmisch-audiovisuelle Imagination zu evozieren geeignet ist“ (S. 48), auch das Rezeptionsverhalten angesprochen. Insbesondere Genettes Analyseset fehlt es jedoch an der für eine entsprechende Untersuchung nötigen kognitiven Ausrichtung. Dementsprechend wäre eine stärkere Berücksichtigung der Terminologie postklassischer Erzähltheorien – eventuell im Anschluss an den erfolgten Aufbau der klassisch orientierten Basis – wünschenswert gewesen.

Insofern bietet Gebhardts Arbeit – abschließend formuliert – ein Gerüst, welches es noch auszubauen gilt. Dieses wird sinnvoll aus vorigen Analysesets zusammengebaut. Wie es weiterverwendet wird, liegt daran, ob Gebhardts Wunsch in Erfüllung geht, man möge dem Drehbuch als fiktionalen Erzähltext mehr Aufmerksamkeit schenken. Er hat jedenfalls ein ebenso anregendes wie ausbaufähiges Modell vorgelegt, das an die aktuellen Diskurse der Narratologie des Dramas und des Films anknüpft.

Literaturverzeichnis

Genette, Gérard (1998): Die Erzählung, München

Kuhn, Markus (2011): Filmnarratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell. Berlin / New York

Pfister, Manfred (2001): Das Drama. Theorie und Analyse. München



Dennis Korus
Universität Passau
Ältere Deutsche Literaturwissenschaft
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