Carolin Struwe-Rohr

Erfahrungswissen

Überlegungen zu einer narrativen Form von Wissen in Prosaerzählsammlungen der Frühen Neuzeit

Literary short texts of the Early Modern Period, like fables, tales and Merry tales, are meant to be simple forms of teaching, divided as they often are into two parts: narratio and moralisatio. The moralisatio as a form of propositionally structured knowledge has thereby been seen as the essential part which provides exemplary lessons to the reader. The narratio on the other hand, has been perceived to have merely an illustrative function subordinated to this didactic intention, or works as a form of entertainment. In contrast to this prevailing opinion, and following up on sociological studies on experience, this article argues that narration itself can be described as a form of knowledge of experiences. This form of knowledge focuses on concrete situations, subjectivity, temporal sequences and the inconclusiveness of findings, and can therefore also point out possibilities and limits of the propositional form of knowledge. These systematic considerations will be illustrated with reference to a so-called ‘Prosaerzählsammlung’ of the 16th century, the Wegkürzer (1557) by Martin Montanus.

1. Literarische Kleinformen in der Frühen Neuzeit

Literarische Kleinformen der Frühen Neuzeit, wie Fabeln, Mären und Schwänke, werden in der Forschung bislang vor allem im Hinblick auf ihren pragmatischen Nutzen untersucht. Im Mittelpunkt steht dabei ihre Exemplarizität und damit zusammenhängend ihre didaktische oder konfessionelle Funktionalisierung. Diese Sichtweise ist einerseits durch die Struktur der Texte bedingt: Mit ihrer Kürze, ihrer klaren Struktur und syntagmatischen Organisation verbindet sich die Vorstellung der „Abgeschlossenheit der Texte“ und von „klaren Strukturen des Geschehens und der Werteverteilung“. „Räume, Figuren und Handlungen sind stereotyp modelliert und einander oppositiv zugeordnet; der einförmige Rhythmus von Transgression und Sanktion konturiert die Grenzen soziokultureller Ordnungen“ (Waltenberger 2006a, 268). Dieser Eindruck von Einfachheit wird nicht zuletzt durch die Zweigliedrigkeit der Texte befördert: Die moralisatio behauptet eine Sinnsicherung durch die Ausstellung von Geordnetheit, Regelhaftem, Allgemeinem oder gar von Selbstverständlichkeit; die narratio sei demgegenüber als eine Art von szenischer Entfaltung, als Konkretisierung einer abstrakten Regel, als eine Art von Vehikel zur Vermittlung eines solchen Wissens zu sehen, sie biete „Möglichkeiten zu modellhafter Demonstration“ (Grubmüller 1997, 555). Damit könne sich „in ihnen vor allem ‚Weisheit‘ manifestieren, eine Wissensform, in welcher sachliche Wissensansprüche von ethischer Orientierung kaum unterschieden werden […]“ (Strohschneider 2007a, 166). Wo sich die narratio nicht nahtlos in die moralisatio einfügt, sich also widerständig zeigt oder ‚Erzählüberschüsse‘ erzeugt, wird dies einerseits funktional und mit dem Hinweis auf das horazische prodesse aut delectare – die topische Legitimationsfigur in sämtlichen Vorreden der Erzählsammlungen des 16. Jahrhunderts (vgl. Schwitzgebel 1996, 120–141) – als delectare des Lesers verstanden oder als ‚Lust am Erzählen‘1 interpretiert. Gerade die Prosaerzählsammlungen, von der Forschung traditionell als ‚Schwanksammlungen‘ bezeichnet,2 haben aufgrund dieser Perspektive bislang wenig Aufmerksamkeit im Hinblick auf den Eigenwert ihrer narrativen Form erhalten; ihre erzähltechnischen und semantischen Spezifika wurden kaum einer näheren Betrachtung unterzogen.3 Dies hängt nicht zuletzt auch mit Vergleichsperspektiven zusammen, aus denen heraus diese Texte entweder aufgrund ihrer „obszöne[n] Scherze […] und anderen ‚pudenda‘“ (Röcke 2004, 474) als ästhetisch minderwertig abgetan oder ihnen im synchronen europäischen Vergleich mit Boccaccios Decameron ein fehlendes „tiefere[s] Verständnis […] der ‚geheimen Dialektik‘ der Novelle“ und eine „Minderwertigkeit des Formgefühls“ (Monostory 1971, 93) attestiert bzw. eine von Moralisierung und Konfessionalisierung geprägte Aufnahme in den deutschen Sprachraum konstatiert wurde, in der sich eine literarische Verfallskurve abzeichne (vgl. Bolsinger 1998, 167).4

Demgegenüber soll im Folgenden das Erzählen in Kleinfomen, näherhin im Schwank, als Form der Speicherung und Reproduktion, aber auch der Produktion von kollektivem Wissen verstanden (vgl. Strohschneider 2007b, 443) und somit als diskursive Form von Wissen neben dem in den Texten präsentierten argumentativ geformten Wissen ernstgenommen werden. Dabei könnte sich gerade in den Schwanksammlungen bzw. Prosaerzählsammlungen, die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts im Zuge der Medienrevolution eine Konjunktur erleben, ein Wissen abzeichnen, das ein verändertes Verhältnis zur Erfahrungswirklichkeit widerspiegelt.5 So sind, wie Röcke bereits festgestellt hat,

die Schwanksammlungen in dem Sinne traditionell, daß sie Bebels Fazetienbuch nachzuahmen suchen und zahlreiche seiner Erzählungen auch übernehmen oder fortschreiben, zugleich aber sind sie vor allem am besonderen Fall, an der partikularen Erfahrung und der „unerhörten Begebenheit“ interessiert. (Röcke 2004, 473)

Dieses Interesse könnte sich im Erzählen selbst als ein Wissen konstituieren, das in der Frühen Neuzeit allererst einen diskursiven Eigenwert erlangt (vgl. Müller 1986): als ein narrativ geformtes Erfahrungswissen. Dabei ist allerdings nicht an eine Ablösung des bisherigen traditionellen Wissensfundus gedacht; vielmehr lässt sich – auch befördert durch die Drucktechnik im 16. Jahrhundert – ein „Nebeneinander von festem Wissen und Erfahrungsexpansion in der Wissensgeschichte“ (Harms 2004, 173) erkennen, das sich durch Spannungen zwischen den tradierten Wissensbeständen und ‚neuem‘ Wissen im Hinblick auf mit ihnen verbundene Geltungsansprüche auszeichnet. Wie diese zwei Formen von Wissen in einer dieser Prosaerzählsammlungen des 16. Jahrhunderts, in Martin Montanusʾ Wegkürzer konturiert werden und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen, wird im Einzelnen zu zeigen sein. Nach einer Erläuterung der hierfür verwendeten Begrifflichkeit wird die Untersuchung zunächst bei der Vorrede und deren programmatischer Ausrichtung ansetzen. Daran anschließend konzentriert sich die Analyse auf die Mikroebene und nimmt die letzte Erzählung der Sammlung, die Historia Gisippi und Titi, in den Blick – die einzige Erzählung, auf die die Vorrede explizit und mit Blick auf den Anspruch der Sammlung auf Lehrhaftigkeit bzw. Exemplarizität Bezug nimmt. Dabei wird der Fokus zunächst auf der Frage liegen, inwieweit über die Erzählung und deren Präsentation von festem Wissen ein solcher Anspruch geltend gemacht werden kann und ob damit die Funktion der Erzählung erschöpfend zu erklären ist. Im Zuge einer solchen Untersuchung könnte sich herausstellen, dass die Normvermittlung und didaktische Unterweisung, die vom Paratext suggeriert wird, nicht die einzige dominante Legitimationsfigur dieser Texte ist, sondern sich daneben ein Wissen abzeichnet, das auf Erfahrung rekurriert und in seiner situativen Anwendbarkeit einen diskursiven Eigenwert gegenüber anderen Wissensformen beansprucht. Die Überlieferung der Erzählungen im Verbund, in einer Sammlung, könnte diese Wissensform dabei in besonderer Weise hervortreten lassen.

2. Formen von Wissen

Ausgehend von der Konturierung eines akteurzentrierten Wissensbegriffs, dem kollektiven Wissen, einem shared knowledge,6 gehe ich, in Anknüpfung an kognitionspsychologische und philosophische Konzepte,7 von zwei Formen des Wissens aus: dem narrativ geformten Erfahrungswissen und dem argumentativ geformten festen Wissen.8 Beim Erfahrungswissen handelt es sich um ein nicht auf dem Weg der Abstraktion, sondern unter bestimmten Bedingungen erworbenes Wissen, in das kollektive Muster eingehen können. Dies wäre ein „Wissen um die Gestreutheit des erwartbaren und möglichen Zu-tun-Habens mit den Dingen, um die Vielgestaltigkeit, in der sich etwas zeigen kann” (Hahn 1994, 16), was einem so alles geschehen kann (Wissen um die Kontingenz) und wie sich etwas „nutzen läßt“ (ebd.). Der hier verwendete Begriff knüpft damit an Jan-Dirk Müllers Überlegungen zum Erfaren in Erzählungen des 16. Jahrhunderts an und ist etymologisch konturiert als „Sich-auf-den-Weg-machen, um etwas zu erkunden, kennenzulernen und selbst zu sehen, wie etwas ist, sowie als das, was man dabei erfährt, als Gegensatz des Theoretischen und bloß Gedachten, des geschichtlich Überlieferten und auf Autorität Angenommenen“ (Bayer 1974, 321).9 Wie Müller treffend formuliert, „[suggeriert] [d]ie Rede von ‚täglicher‘ erfarung […] weniger die Wiederholbarkeit einmal gewonnener Erkenntnis als deren dauernde Erweiterung durch neu Hinzukommendes“ (Müller 1986, 333). Betont wird mit erfarung also die „Unabschließbarkeit und Überholbarkeit von Erkenntnissen (da stets durch neue singularia vermehrbar und korrigierbar)“ (ebd., 317) und damit eben nicht eine ableitbare Regel oder Regularität, die sich in der Abstrahierung der Erfahrungen zeigen würde. Erzählen wäre insofern auch nicht als narrative Oberfläche aufzufassen, der eine ‚eigent­ liche‘ semantische Tiefenstruktur zugrunde liegt.

Ganz im Gegenteil werden mit der Darstellung von Erfahrungen vor allem deren graduelle und situative Gebundenheit ins Blickfeld des Lesers gerückt: Unter bestimmten Bedingungen haben bestimmte Handlungen Aussicht auf Erfolg, unter anderen Bedingungen drohen sie zu scheitern. Unter bestimmten Bedingungen sind bestimmte Widerfahrnisse zu erwarten, unter anderen Bedingungen nicht; in agonalen Auseinandersetzungen ergeben sich mit unterschiedlichen Konkurrenten trotz gleicher Ausgangsbedingungen unterschiedliche Wahrschein­ lichkeiten zu gewinnen oder zu verlieren. Als ausschlaggebend für die Gradualität und Partikularität solcher erfarung erweist sich vor allem der zeitliche Faktor: „Über Einzelnes scheint eben wegen seiner unendlichen Vielfalt gemäß Raum, Zeit und Umständen keine sichere Erkenntnis möglich“ (ebd., 336) und überdies kann jede weitere Bewegung im Raum neue Erfahrungen hervorbringen. Doch kann – so möchte ich annehmen – auch Erfahrung den Status eines ‚Wissens‘ beanspruchen. Allgemeinheit erlangt Erfahrung aber eben nicht auf dem Weg der Abstraktion des Konkreten, sondern durch eingeschliffene Wahrscheinlichkeiten, die an der Konkretheit bestimmter Situationen und Verläufe haften. Geltung beansprucht ein solches Wissen damit nicht im Rekurs auf unhintergehbare Wahrheit, sondern durch unvorgreifliche Erwartbarkeit. Es wäre demnach nicht als abstrakter Bewusstseinsgehalt zu beschreiben; anknüpfend an Arnold Gehlen wäre hier vielmehr an ein Können gedacht, das rekurrierend auf Aristoteles als Ziel und Endpunkt der einzelnen Erfahrungen betrachtet werden kann (vgl. Hahn 1994, 87f.): Die Annahme, dass ein Mensch erfahren ist, leite sich, so Gehlen (1986, 28), nicht daraus ab, dass er „richtige Urteile zur Hand hat“, sondern dass er etwas „verfügbar hat und einfach kann“. Und eben dieses Können vermag aufgrund dieser überindividuellen Allgemeinheit des Konkreten Geltung zu beanspruchen.

Argumentativ geformtes Wissen möchte ich demgegenüber im Folgenden im Hinblick auf seine prätendierte Zeitlosigkeit als „feste[s] Wissen”10 beschreiben, das sowohl im Text selbst impliziert sein kann als auch im Paratext bzw. der pragmatischen Rahmung des Textes, etwa in der moralisatio, genutzt wird. Unterstrichen werden sollen mit diesem Begriff vor allem die behauptete Invarianz und der daraus abgeleitete Wahrheitsanspruch solcher argumentativ geformter Wissensbestände. Unter festem Wissen möchte ich fassen: gelehrtes Wissen, enzyklopädisches Wissen, geistliche Lehren, Bibelzitate und Bezüge auf antike Autoritäten, Regel- und Normwissen, welches als kodifiziertes Wissen vorliegt, Sentenzen, Traktate sowie Predigten. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen narrativem und argumentativem Wissen in den frühneuzeitlichen Texten könnte es als charakteristisch gewertet werden, dass das feste Wissen propositional geformt ist bzw. sich leicht auf solche propositionalen Aussagen reduzieren lässt. Dies lässt sich besonders deutlich in Kommentaren und Reflexionen, die in kleinepischen Formen an das Erzählte abstrahierend und verallgemeinernd anknüpfen und nur noch einen mittelbaren Bezug zur erzählten Welt aufweisen, beobachten (vgl. Nünning 1989, 51). Festes Wissen setzt hierbei auf überzeitliche Konstituenten von (narrativen) Situationen, die durch die Abstraktion eine exemplarische, generalisierende Bedeutung des (narrativen) Geschehens verdeutlichen sollen, wobei die Einheitlichkeit und Regularität von Situationen und Ereignissen behauptet und präsentiert werden. Durch den Verzicht auf „jegliche deiktische Determinierung“ (ebd., 52) können zu diesem Zweck auch Kontexte, die nicht innerhalb der Diegese verhandelt werden, für eine Be- oder Abwertung der Handlung genutzt werden: Dabei unterstellt argumentativ geformte Rede meist eine logische Beziehung von Grund und Folge, Ursache und Ergebnis, Bedeutung und Resultat, und setzt damit Kausalität im Hinblick auf Ereignisse und Kohärenz voraus (vgl. de Beau­ grand / Dressler 1981, 191), „um Behauptungen zu begründen oder zu widerlegen, um etwas zu erklären oder vorauszusagen […] oder um Regeln für das soziale Zusammenleben plausibel zu machen“ (Bayer 2007, 18).

3. Martin Montanus: Wegkürzer

Martin Montanusʾ Wegkürzer vereint laut Titelblatt des Erstdrucks von 1557 „vil schoener lustiger vnnd kurtzweyliger Historien“ (Montanus 1557).11 Neben schwankhaften Erzählungen bezieht sich dieses Label jedoch – ohne dass dies durch Überschriften oder unterschiedliche Bezeichnungen ausgewiesen würde – ebenso auf Fabeln, märchenhafte wie legendarische Stoffe, Mord- und Teufelsgeschichten sowie sechs Adaptationen von Novellen aus Boccaccios Decameron nach Arigos Übertragung von 1472 oder 1473 (bzw. deren 1535 bei Cammerlander erschienenen Nachbearbeitung).12 Die Lektüre der 42 in der Sammlung enthaltenen Historien bindet Montanus in der Versvorrede „[a]n den Leser“ dabei an okkasionelle Zwecke: Das Werk könne „in zechen“ oder beim „wandern [über feld]“13 gelesen werden und diene der dortigen Unterhaltung. Verortet sich das Werk damit einerseits im Marginalen, gibt es doch andererseits nicht seinen Anspruch auf, „nutzlich“ (Montanus 1899, 5) zu sein; so reklamiert Montanus in der Vorrede etwa dessen positive Wirkung auf den Leser: „Ja wirsts loben und schetzen wolgethon“ (ebd., 6). Darüber hinaus wird der Anspruch auf Lehrhaftigkeit durch den Bezug auf die letzte Erzählung der Sammlung, die Historia Gisippi und Titi, unterstrichen:

Ich will dir sagen noch ein kleins
Von einer histori wol gethon,
Am 130. blat wirts irn anfang hon
Unnd macht disem buoch ein endt,
Historia Gisippi et Titi wirts genennt.
O wie ein schön histori außerlesen!
Ich habs warlich nit künden vergessen,
Sonder in diß buoch müssen flecken,
Darbey die jungen gsellen mercken,
Was recht lieb und freündtschafft sey;
Das saget dise histori frey. (Montanus 1899, 6f.)

Die darauffolgende pointierte Nacherzählung der Historia bricht Montanus etwa in der Mitte der Geschichte ab; sie an dieser Stelle weiter zu erzählen sei unnötig: „Welcher das begert zuo wissen,/ Der mag das büchlin gar durch lesen“ (ebd., 8), die weiteren Historien sind laut Montanus nicht weiter erklärungsbedürftig, sie würden v.a. „der frawen list“ erweisen (ebd., 9).

Die Forschung hat mit Blick auf diese Vorrede und die Historia Gisippi und Titi als Adaptation von Boccaccios Decameron in dieser Anordnung einen „strukturelle[n] [Rahmen]“ (Monosteroy 1971, 90) gesehen, mit dem sich Montanus „dem grossen Plan des Dekamon [sic]“ nähern wollte. So „dürfte man diesen Hymnus der Freundschaft […] als den moralischen Abschluß unterhaltender Episoden auffassen, wenn auch Montanus dabei nicht mit derselben systematischen Konsequenz verfuhr, wie Boccaccio im Gebrauch der Griseldisnovelle“ (ebd., 93).14

Ob sich in der Historia tatsächlich der in der Vorrede formulierte Anspruch auf moralische Unterweisung verwirklicht, dem ist im Folgenden nachzugehen. Dabei wird es vor allem um die Frage gehen, inwiefern der moralisatio bzw. dem argumentativ geformten Wissen tatsächlich Geltung über einen programmatischen Rahmen zugesprochen wird und damit auch die Sammlung ihre Nützlichkeit in einer Pragmatik des Exemplarischen und Moralischen verortet bzw. welche Geltungsansprüche demgegenüber für das narrativ geformte Erfahrungswissen zu beobachten sind.

4. Die Historia Gisippi und Titi

Die Erzählung von Gisippus und Titus, die in Boccaccios Decameron und Arigos Übertragung des Werks als achte Novelle des zehnten Tages von Filomena erzählt wird,15 verhandelt die Freundschaft zwischen dem Athener Gisippus und dem Römer Titus, die sich über mehrere kasuistisch entfaltete Hindernisse hinweg bewähren und somit den Wert von Freundschaft erweisen soll. So endet die Erzählung bei Arigo mit dem Lob der Tugendhaftigkeit der Freundschaft, die sich in der Geschichte erwiesen habe und damit der imitatio würdig sei:

O du edele heilige freuntschafft nicht alleine aller ern vnd reuerencz, sunder alles lobes wirdig, ein züchtig muter der ern ein swester aller dancksamkeit […]. Darumb ir manne bendencket volget nach in rechter liebe vnd freüntschafft […] nemet zuo euch die edeln tugent der miltickeit! (Arigo 1860, 640f.)

Mit einigen wenigen Änderungen nimmt Montanus diese Geschichte in den Wegkürzer auf, wobei die offensichtlichste zunächst darin besteht, die Bindung an die Erzählerfigur der Filomena und deren Deutungen zu lösen und die Geschichte als historia zu benennen, womit der in der Vorrede markierte Bezug auf Wahrscheinlichkeit unterstrichen16 und gleichzeitig der Anspruch auf Faktenwahrheit eingehegt wird. Historia

kann jeder durch unmittelbare eigene oder fremde Beobachtung gesicherte Bericht heißen, der sich auf besondere Geschehnisse, Tatsachenaufnahme beschränkt und damit auf systematische und begründende Zusammenhänge verzichtet. Nach diesem Verständnis steht die ‚historische‘ Aussage- und Literaturgattung in einem allgemeinen und grundsätzlichen Gegensatz zu solchen Untersuchungen, die nach Aristoteles das Prädikat ‚theoretische Wissenschaft‘ oder ‚Philosophie‘ verdienen. (Kambartel 1976, 72) 17

Nach einer präzisen historischen Situierung „[z]uo den zeiten des hochwirdigen Octaviani, noch nicht genannt Augustus, wol ein regierer des keiserlichen ampts“ (Montanus 1899, 106) und einer Verortung der Ereignisse in Athen bzw. in Rom, werden die Protagonisten eingeführt: Titus Quintus Fulvius, ein Römer „von sehr subtilem gemuet und grosser lehrnung“ (ebd.) wird als Halbwaise ins Haus des Cremetus aufgenommen und lernt dessen Sohn Gisippus kennen, woraus sich eine große Freundschaft entwickelt, „die nyemandt dann allein der todt […] scheyden“ (ebd., 107) könne. Diese Freundschaft wird als äußere und innere Gleichheit beschrieben, die so weit und übergreifend entworfen wird, dass die zwei Protagonisten beim Tod des Cremetus gar für ihre Umwelt nicht mehr zu unterscheiden sind: „Die zwen jung in gleicher formb in klagten, beyd sich in schwartz kleydeten, unnd weder freünd noch yemandt anders wußt umb des gehlingen tods willen, welchen von den zwen jungen sie troesten und ir leid klagen solten“ (ebd.). Die hier bereits aufscheinende Gleichheit des Affekts wird im Folgenden jedoch brisant, bezieht sie sich doch bald darauf ebenso auf die künftige Ehefrau des Gisippus, auf Sophronia: Nachdem Titus diese erblickt hat, muss er feststellen, dass „im der straal der liebe sein gemuet und hertz verwundt het“ (ebd., 108) und verfällt in tiefe Gedanken.

An dieser Stelle schaltet der Text breit ausgeführt festes propositional geformtes Wissen ein, das in seinem Geltungsanspruch auf Regularität die Norm für das weitere Verhalten des Titus vorgeben könnte. Doch führt das feste Wissen gerade nicht zum Stillstand und der Klärung der Situation, vielmehr wird deutlich, dass hier jeweils sich gegenseitig ausschließende Normen Geltung beanspruchen. Damit wird einerseits die Möglichkeit der Konkurrenz von Normen und andererseits deren Anwendung auf die Situation als problematisch präsentiert. Die hier vertretenen Normen beanspruchen für sich jeweils Gültigkeit,18 werden jedoch in ihrer Anwendung als disparate Geltungsansprüche entworfen. Dabei wird der Konflikt in seiner Brisanz durch die Bindung an eine Figur besonders prägnant inszeniert, indem die jeweiligen Ansprüche in zwei direkt hintereinander folgenden Monologen Titus in den Mund gelegt und als Agon zwischen dem Gesetz der Freundschaft und demjenigen der Liebe dargestellt werden.19 So knüpft Titus zunächst am Weisheitsdiskurs an, der ein vernünftiges Verhalten im Einklang mit dem Sittengesetz fordert und den er in der ‚goldenen Regel‘20 kulminieren lässt: „Wa ist dein groß weißthumb? Thuo auff die augen deiner vernunfft, erkenne dich selbst! […] Darumb bedenck dich recht, laß dein unmessig lieb faren! Du solt deinem freünd thuon, als du woltest, das er dir thet“ (ebd., 108). Gisippusʾ Frau sei deshalb von Tituts als „liebste schwester“ in Ehren zu halten (ebd.). Damit setzt der Redner als Richtschnur des reziproken Verhaltens innerhalb der Freundschaft vernünftiges, d.h. ethisch und moralisch gutes Verhalten und damit den Verzicht auf die Liebe voraus. Dieser übergeordneten Sittenregel wird im Folgenden jedoch die absolute Geltung der Liebe entgegengesetzt: Doch „von newem bedencken ward und alles, das er wider sich und sein unmessige lieb gesprochen het, zurück leget und sprach: ‚Die gesatz der liebe stercker und mechtiger sein dann andere gesatz oder gebott‘“ (ebd. 108f.). Diese seien nicht nur losgelöst von anderen Gesetzen anzuwenden, sondern diesen zudem übergeordnet. Dass Gisippus Sophronia zur Frau nehmen konnte, sei überdies nur der Fortuna, dem „glück“ zuzuordnen (ebd., 109). Eine Abstimmung oder Lösung des Konflikts wird nicht erreicht – Titus verharrt in der Aporie: „Also von einem gedancken zum andern, vonn einer red zu der andern fiele“ (ebd.) – bis er aufgrund der Unabstimmbarkeit der Geltungsansprüche schließlich völlig entkräftet schwer krank wird.

Der erste Versuch einer situativen Anwendung des festen Normwissens scheitert damit an der Problematik der Hierarchisierung solchen Wissens und führt zur existentiellen körperlichen Bedrohung. Gisippus, von der Krankheit seines Freundes alarmiert, kann Titus schließlich zum Geständnis seiner Liebe und seines Konflikts bringen. Dabei überrascht nicht nur, dass Gisippus lediglich die bislang verweigerte Teilhabe an den Gedanken des Freundes verurteilt (vgl. ebd., 110), auch kann er das Dilemma scheinbar auflösen. In einer weiteren rhetorischen Neuperspektivierung der Situation wird das Begehren des Titus aus der Sicht von Gisippus nun nicht mehr als moralisch verwerflich begriffen, sondern im Rahmen eines von Gisippus etablierten Freundschaftsideals in eine radikale Tugend der selbstlosen Freigiebigkeit integriert: Freunde sollen alles teilen – darunter fällt dann auch die künftige Ehefrau des Gisippus:

Hast du mich nun für dein getrewen freünd, als ich dann on zweifel bin, so solt du zu mir hoffen und kein zweifel haben; und als dir wol wissent ist, seyther wir guot freünd unnd mehr dann brueder gewesen seind, das alles, das ich hab, gleich dein als mein gewesen ist. […] Es ist war, Sophronia ist mein unbeschlaffen ehlich braut, hab sie lieb unnd irer hochzeyt mit freüden warten bin, und du, als der ir mit mehr brinnender lieb begert und lieb hat, als sie dann wol wirdig ist. Darumb nicht mein, sonder dein sein soll, unnd in meiner kamer die erst bluomen der goetlichen ehe mit ihr abbrechen solt. (ebd., 111)

Der Preis der Integration der Begierde in einen Tugendkatalog, im Rahmen der miltigkeyt, der zugleich den Betrug der zukünftigen Ehefrau Sophronia beinhaltet, ist damit aber die Destruktion der durch den Tugendkatalog verbürgten Ordnung: Nicht nur wird die Tugend der amicitia verabsolutiert; ihre Durchsetzung führt auch zur gänzlichen Vernachlässigung aller anderen Tugenden; zugleich wird ihr Inhalt prekär, da er sich von diesen positiven Tugenden distanziert und in seiner Durchsetzung zur Untugend führt (vgl. hierzu auch Kablitz 1993, 157). Dies wird nicht zuletzt in der tatsächlichen Präsentation der Freigiebigkeit, im Unterschub des falschen Bräutigams in der Hochzeitsnacht deutlich:21 Auch wenn Titus mehrfach die letztendliche Erfüllung seiner Liebe als herausragende miltigkeyt des Gisippus bewertet, betont er jedoch zugleich: „Nun woell gott nicht, das ich von dir neme, des du wirtiger zu haben bist dann ich“ (Montanus 1899, 112). Die Tugend der Freigiebigkeit als Ausweis der idealen Form der amicitia erweist sich in ihrer situativen verabsolutierten Anwendung damit zugleich als moralisch verwerflich. Der Tugendbegriff der amicitia – so wird deutlich – wird damit für sämtliche (normative) Füllungen frei. Damit ist aber mehr bezeichnet als der von Neuschäfer bereits für Boccaccios Novelle konstatierte „Übergang von einer idealistischen zu einer realistischen Moralauffassung […]“ (Neuschäfer 1969, 47). Vielmehr bedeutet

[d]ie Dissoziation der Vernunft von ihrer positiven Determination durch die kanonischen Tugenden […] auch den Ausfall der Regelung des Verhältnisses zwischen diesen virtutes, wie er sich in der Verabsolutierung der amicitia äußert, deren kompromißlose Erfüllung zugleich zur Quelle der Unmoral gerät. In anderen Worten gesagt: Moral wird kontingent. (Kablitz 1993, 157)

Diese ungeheuerliche Formalisierung konkretisiert sich nicht nur im Bräutigams-Unterschub in der Hochzeitsnacht, welche Sophronia unwissend zur rechtmäßigen Ehefrau des Titus macht, sondern in einem fortgeführten heimlichen Beziehungsdreieck.

Der kontingente Umstand des Todes von Titus Publius, dem Vater des Titus, stört diese Liaison jedoch empfindlich, denn Titus besteht nun darauf, Sophronia nach Rom mitzunehmen. Gisippus und Titus sind gezwungen, Sophronia zu berichten, was bisher geschehen ist. Auf diese Entdeckung reagiert die betrogene Braut ebenso wie ihre hinzugerufenen Eltern und Verwandten mit „grossem zorn und sehr betruebtem gemuet“ sowie „klagen“ gegen Gisippus (Montanus 1899, 115).22 Die Durchsetzung des verabsolutierten Ideals der Freundschaft durch Gisippus wird dabei als soziale Transgression bewertet, die „grosser straff würdig wer“ (ebd., 116). Der hinzugerufene Freund Titus hält daraufhin eine Rede im Tempel – zunächst, wie es scheint, da er „nicht lenger vertragen mocht“, dass sie sich nicht „wider Gisippum erweichen wolten“ (ebd.). Doch wird schnell deutlich, dass es hier um die Durchsetzung seiner eigenen Interessen geht: So verweist Titus zwar auf Gisippus als denjenigen, welcher die „heyligen gesetz der freündschafft“ vorbildlich eingehalten habe (ebd., 117), der zweite Teil der Rede hebt jedoch bewusst die graduellen Unterschiede der beiden Männer hervor, wobei Titus sich selbst als mächtigeren und würdigeren Bräutigam herausstellt: „Dann fürwar ir an mir ein getrewen freund haben solt nit allein mit meinem reichtumb, sonder auch mit allem gewalt unser policey und regiment“ (ebd., 118f.). Hierbei gibt er nicht nur die Geschehnisse als providentielle, als „aller untoedtlichen goetter geschick“ (ebd., 116) aus – ein Geschick, das der Leser als von den Protagonisten mit List und Tücke betrügerisch ‚hergestelltes‘ und damit als lediglich rhetorisch erzeugte ‚pragmatische Providenz‘ erkennen könnte. Der höchste Wert der Freundschaft, den Titus in ähnlicher Form wie Gisippus preist, wird zudem in der Rede funktionalisiert, um die Familie von Sophronia für sich einzunehmen: Dabei rekurriert er einerseits wiederum auf die ‚goldene Regel‘, dass „ein jegklicher getrewer freünd für seinen freündt thuon soll, das er fuer sich selbst thet“, doch macht er zugleich darauf aufmerksam, dass sich diese Regel eben nur auf ihn bezog: denn Gisippusʾ Freundschaft gegenüber Titus sei „groesser geweßt, als dann billich ist, dann die gegen seinen freunden“ (ebd., 117). Er betont auf diese Weise, dass in der Verabsolutierung der Freundschaft zu Titus diejenige zur Familie zurückstehen musste und kann zusammenfassend Sophronia für sich beanspruchen:

„Als ir gnuog wol vernommen habt, wie Sophronia durch geschickt der goetter und krafft menschlicher gesatz, loeblicher sinn meines freunds Gisippi und meiner brinnenden lieb mein worden ist, darumb ich euch freündtlich bitt, ihr bessers rahts pflegt.“ (ebd., 120f.)

Ohne Bezug auf die vorgebrachten moralischen Aspekte wird schließlich eine Entscheidung der Familie herbeigeführt, nämlich dass „Titi freündschafft auffzunemen unnd nicht auß zu schlagen, besser dann Gisippi freündtschafft were, seytemal Gisippus ihr freündtschafft auß geschlagen hett“ (ebd., 121). Die Entscheidung für Titus und gegen Gisippus wird dabei vor allem mit Blick auf Macht und Geld des neuen Bräutigams getroffen,23 wird also an rein pragmatische Gründe gebunden. Dass sich die Braut dann auch umstandslos entscheidet, Titus zu lieben, „als weisen frawen gebürt“ (ebd.), verdeckt nur notdürftig, dass die Bindung an den ethisch begründeten Weisheitsdiskurs bereits durch Eigennutz und nüchterne Pragmatik abgelöst wurde.

Dies hat allerdings weitreichende Konsequenzen für die im Text argumentativ geformten Wissensinhalte, die dem Weisheitsdiskurs zugeordnet werden sollen; denn dieser Diskurs benötigt eine integre Erzählinstanz mit einem moralisch festen Standort. Doch weder Titus noch Gisippus können die Vorgaben der Rhetorik erfüllen, die den Redner als vir bonus24 konzipieren.25 Im Gesamten betrachtet zeigt sich, dass der Konnex zwischen rhetorischer Kompetenz und moralischer Qualität durch die Verwischung der Differenz von moralischen Tugenden und verwerflichen Begierden in konkurrierenden Perspektivierungen unterlaufen und festes Wissen durch seine formale Struktur und Statik für jegliche rhetorische Funktionalisierung nutzbar geworden ist. Die propositionale Form festen Wissens, mit der Lehren und moraldidaktische Handlungsanweisungen als klar und invariant präsentiert werden sollen, wird durch die funktionale Einbindung in List und Eigennutz unterminiert. So könnte sich an dieser Stelle bereits die Frage stellen, in welcher diskursiven Form sich solche lehrhaften Inhalte überhaupt noch mit Anspruch auf Geltung präsentieren ließen, wird doch die hierfür verwendete Form als eine korrumpierbare ausgewiesen.

Die weitere Handlung konzentriert sich nun ganz auf Gisippus, der aufgrund der Rede des Titus zunächst gemieden und schließlich aus Athen vertrieben wird und dessen weiterer Weg nun in einer Form von ‚erfahrungsförmiger‘ Prozessualität und Offenheit erzählt wird. Dabei werden zunächst sämtliche Erwartungen des Protagonisten und die zuvor etablierten Normen im Hinblick auf die Reziprozität der Freundschaft durchkreuzt. Gisippus gelangt nach Rom, wo er in Armut „das almuosen suchen gieng“ (Montanus 1899, 121). Er erblickt dort zufällig Titus, wird allerdings nicht von diesem erkannt. Weil er glaubt, mit Absicht ignoriert worden zu sein, beschließt er daraufhin den Tod zu suchen. Damit könnte sich die Beachtung und Anwendung lediglich einer Tugend in ihrer Verabsolutierung zu diesem Zeitpunkt als sozial und existentiell katastrophal erweisen. Die Lesart dieser sozialen Ächtung als gerechte Strafe, in der sich ein regulativer Mechanismus von Sünde und gerechter Strafe erkennen lässt, wird vom Text jedoch durchkreuzt, ist doch diese Sanktion rein rhetorisch erzeugt und eröffnete einer Pragmatik Raum, die lediglich auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Der Schwerpunkt liegt demgegenüber auf der handlungslogischen Umsetzung des bereits zuvor greifbaren Verbindlichkeitsverlusts von Normen und Werten, der nun narrativ in einer gesteigerten Kontingenzerfahrung sichtbar gemacht wird.

Eingefügt wird eine Raub- und Mordgeschichte, in die Gisippus unschuldig verwickelt wird. Nachdem Gisippus sich enttäuscht in eine Höhle zurückgezogen hat, begibt es sich, „das zwen dieb mit dem, das sie gestolen, in die hoele kamen das zu teylen und umb solcher diebstal willen zuteylen zu krieg und streyt kamen; und der eine den andern erstach […]“ (ebd., 122). Der Tote wird bald von vorbeigehenden Leuten entdeckt, woraufhin Gisippus „ungenoettet dem richter verjahe, er den mann getoedt het […]; derhalben er von dem richter zum todt verurtheylt ward“ (ebd.). Zu diesen Kontingenzmomenten tritt nun der Zufall, dass „eben zu derselben stund Titus ohn gefaer auff das richthauß kam und […] erkennt, das es sein getrewer freünd Gisippus wer“ (ebd., 122f.), woraufhin Titus dem nun ebenfalls anwesenden Herrscher Octavian gegenüber behauptet: „Ich hab das gethan […]“ und anfügt: „Darumb nit straff, der nicht schuldig ist!“ (ebd., 123). Ungeachtet der Rede des Titus im Tempel, die zur Ächtung von Gisippus führte, und damit quasi unter Ausblendung der Kontingenzerfahrungen, wird mit dem darauffolgend beschriebenen gegenseitigen Erkennen eine symmetrische Anordnung entworfen, die die Reziprozität der Freundschaft erweisen soll:

In dem Gisippus Titum ansahe unnd den erkandt, das Titus sein grosser freund was, der ihme den empfangnen dienst zu Athen yetzund lohnen und widerkeren wolt, demuetigklich und weinend sprach: „Varro, fürwar ich hab dem mann den tod gethon, unnd Titi miltigkeyt nun meinem heil zu spat kommen ist. (ebd.)

Aus der Sicht der weltlichen Autorität, die den Fall nun klären soll, des „hochwirdigen Octavian[]“ (ebd. 106), erweist sich diese arrangierte Symmetrie des selbstlosen Freundschaftsdienstes, die Reziprozität, jedoch als Dilemma, denn die mit rhetorischem Geschick vorbrachte Normanweisung „[d]arum nit straff, der nicht schuldig ist“, fordert ein Erfahrungswissen ein, das der weltlichen Autorität gerade nicht zur Verfügung steht. Gleichzeitig fordert die Transgression, der Mordfall, in der Öffentlichkeit eine Sanktion: die „gesatz der gerechtigkeit iren weg haben mueßten“ (ebd., 123). Auch an dieser Stelle werden damit die Grenzen der Anwendbarkeit des festen Normwissens aufgezeigt, das die Komplexität der Situation weder erfassen noch auflösen kann: „Varro sich ihr beyder bestendigkait unnd staeter meynung nicht [gnuog] verwundern mocht, wol gedacht, ihr keiner, des er sich schuldig geb, schuldig wer, und, wie er sie beid mit ehrn ledig machet, suchen gieng“ (ebd. 123f.). Die hier greifbare zweite aporetische Situation kann nur durch ein weiteres Kontingenzmoment aufgelöst werden:

In dem sich begab, das villeicht gotes gefallen was, das ein junger, genandt Publius Ambustus, ein verwegen boeser wuetterich, von yederman ein offner verraether und dieb gehalten was, der das mordt gethan hett, nach dem sich ir yegklicher schuldig gab und nit schuldig was, der beyder verjehen und unschuldig zu sein im sein hertz erweichet, in maß das er beider halb groß pein truog. Gantz in barmhertzigkeit bewegt, die zwen zu entledigen unnd sich selbst schuldig geben, für Varronem kam, zu im sprach: „Pretor, gerechtigkeit mich zwinget, der zweyer unschuldigen streyt zurichten. Darumb wißt, das irer keiner an dem begangnen mord schuldig ist! Ich bin der, der den mann in der vergangnen nacht getoedt hat; […]: Darumb, Varro, ledig sie und richt mich nach meinem verdienen!“ (ebd., 124)

Nur durch einen Verbrecher, also denjenigen, der die Ordnung aufs Massivste stört, der sich aber dann (überraschend) auf festes Normwissen besinnt, kann die Erzählung noch ihr gutes Ende finden, die Ordnung oberflächlich wiederhergestellt werden. Dabei wird allerdings deutlich, wie brüchig diese Ordnung bereits geworden ist: So beruft sich Octavian dezidiert auf festes Wissen, indem er die Beschuldigten fragt, „was ursach yegklichen bezwung zuthuon, das er gethan het“ (ebd.), was als ein Versuch gewertet werden könnte, über Kausalität und Kohärenz (Grund, Handeln und Resultat) eine Beherrschbarkeit der Geschehnisse zu erreichen und Stabilität sowie Regelhaftigkeit auszustellen. Doch hält er die vorgetragenen Gründe wiederum für „ein sehr frembde sach“, woraufhin er „[d]en zweien unschuldigen und dem schuldigen umb ihrer willen vergab“ (ebd.). Die nachträglich von der weltlichen Autorität eingeforderte Kausalität und erhoffte Kohärenz kann demnach nicht zur (Wieder-)Etablierung eines festen Norm- und Ordnungshorizonts beitragen. Die Ordnung wird vielmehr daran anschließend als eine willkürliche herausgestellt: Die weltliche Autorität bestraft niemanden – nicht die Unschuldigen, aber eben auch nicht die Schuldigen. Die Opposition von ‚richtigem‘ und ‚falschem‘ Handeln, die verknüpft ist mit dem System von ‚Lohn‘ und ‚Strafe‘, wird ausgesetzt – die Etablierung eines übergeordneten Normhorizonts verhindert. Im Ganzen betrachtet konturiert die Erzählung damit eine Autorität der erzählten Welt, welche weltliche Normen durchsetzen soll, dies aber gerade nicht leistet, sondern demgegenüber geradezu einer Auflösung des Transgressions-Sanktions-Mechanismus zuarbeitet. Ob jemand seine gerechte Strafe erhält, scheint weniger einer sinnhaften Ordnung zu gehorchen, als vielmehr mit Wahrscheinlichkeiten und Zufällen zusammenzuhängen oder aus dem klugen Umgang mit diesen zu resultieren. Das hier präsentierte Erfahrungswissen zeigt, dass das, was als Transgression gelten kann und auch ob diese sanktioniert wird, von veränderlichen situativen Umständen und Intensitäten abhängig ist.

Diese Problematik überblendend, wird daraufhin ein Happy-End konstruiert: Gisippus wird mit der Schwester des Titus, mit Fulvia, verheiratet; die zwei Paare leben „mit grossen frewden […], und staets mehr ir freundschafft wuchs“ (ebd., 125). Damit wird das Syntagma des Textes geschlossen und als repräsentativer Ausweis der Geordnetheit eines Weltmodells, in dem sich die Idealität von „reht[er] lieb und freündtschafft“ (ebd., 7) bewährt, ausgegeben. Dieses Ideal wird abschließend in seiner Geltung mit der Anrufung der höchsten Autorität gestützt: „Wolte gott, das wir alle solche lieb gegen einander truegen! Stuende unser leben besser gegen gott dann also. Gott verleyhe uns sein genad!“ (ebd., 125).26 Die Erzählinstanz versucht somit über Ordnungsfaktoren und Autoritätsbehauptungen sowie Vereinzelung und Isolierung der Erzählzusammenhänge eine exemplarische Lehre zu vermitteln; das präsentierte Erfahrungswissen und die Besonderheit des präsentierten Falles werden dabei gänzlich ausgeblendet. Nun könnte sich der am lehrhaften Gehalt interessierte Leser auf den ersten Blick damit beruhigen, dass es im Exempel einer besonderen Extremsituation bedürfe, um daraus das allgemein Gültige, ‚Freundschaft als höchster Wert‘, nur umso schärfer und mit besonderem Geltungsanspruch hervortreten zu lassen.

So ist das Exemplum als Paradigma des mittelalterlichen Diskurses nicht etwa aufzufassen als Stilisierung eines Handelns, das in der Reichweite der Möglichkeiten von jedermann läge, vielmehr als außergewöhnliches und insofern singuläres Beispiel für eine in ihrer Normalstufe zur Nachahmung empfohlene Handlungstugend; die dabei inszenierte Sujethaftigkeit erscheint oft sogar extremer als in post-mittelalterlicher Literatur. (Küpper 1993, 57)

Doch kann der Verweis auf die Sujethaftigkeit die kasuistisch produzierten Ambivalenzen nicht gänzlich erklären. Dies betrifft einerseits die Überschüsse und Reste, die die argumentative Form des Wissens nicht wahrnimmt: Man könnte diese auf den ersten Blick als Kehrseite der Medaille dessen beschreiben, worauf das Exempel den Fokus lenkt. Eben auf dieser Kehrseite präsentiert der Text allerdings Not- und Konflikterfahrungen, die sich gerade nicht einer Ordnungsrepräsentation subsummieren lassen.27 Wo sich das feste Wissen auf überzeitliche Normen konzentriert, führt die narratio vor, was passiert, wenn solch festes Wissen tatsächlich zur imitatio führt und situativ Anwendung finden soll: Im Einspielen des festen Wissens zeigte sich sogleich die Konflikthaftigkeit im Widerstreit unterschiedlicher Normen und die Problematik ihrer Hierarchisierbarkeit sowie deren Unabstimmbarkeit, die als existenzielle Not ausdekliniert wurde.

Zugleich erwies sich die Problematik der diskursiven Form des festen Wissens, die eine rhetorische Funktionalisierung des Freundschaftsideals für eigennützige Zwecke auch ohne moralische Grundlage unter rein pragmatischen Gesichtspunkten als mögliche zeigte. Auf Handlungsebene wurde deutlich, dass die mit den Normen behauptete Regularität in der Welt, das, ‚was immer passiert‘, sich für die Figuren als irreduzible Kontingenz präsentierte, als das, ‚was einem alles passieren kann‘, und damit als ein Wissen vom Wahrscheinlichen oder Unwahrscheinlichen und davon, welche Zufälligkeiten geschehen können. Dabei verschob sich der Fokus auf situationsabhängige Konstellationen und situationsabhängige graduelle Beobachtungen. Zugleich wurde gezeigt, welche normativen Grenzen durch die Verabsolutierung der Freundschaft überschritten werden müssen bzw. welche Opfer ihre Durchsetzung fordert: Betrug in der Hochzeitsnacht an der künftigen Ehefrau, soziale Ächtung, Mord und der Freispruch eines Mörders.

Doch ist diese Problematik mit Blick auf ihre Funktionalisierung im Exempel noch brisanter: Denn Exemplarizität kann zwar für ihre szenische Reproduktion auf den besonderen Fall setzen, doch müssen der besondere Kasus und die allgemeine Regel je metonymisch füreinander einstehen. Das erfordert auch, die „Kontingenz stets als Schein zu entlarven und auf die in ihr waltenden Providenzzusammenhänge hin durchsichtig zu machen […]“ (Strohschneider 2007a, 166). Die Kontingenz wird deshalb in literarischen Kleinformen oftmals in der moralisatio auf allgemeingültige kausale Relationen (etwa von Sünde und Strafe) verkürzt und nachträglich als Providenz umgedeutet. Die Möglichkeit einer solchen nachträglichen Umdeutung stellt der Text jedoch gerade in Frage, indem er an der Stelle der Einspielung des Verbrechers, der sich schließlich doch noch schuldig bekennt, gerade in der Schwebe hält, inwiefern dies als göttlicher Eingriff bzw. als göttlicher Wille aufzufassen ist:

In dem sich begab, das villeicht gotes gefallen was, das ein junger, genandt Publius Ambustus, […] der das mordt gethan hett […] [g]antz in barmhertzigkeit bewegt, die zwen zu entledigen unnd sich selbst schuldig geben, für Varronem kam, zu im sprach: […] Ich bin der, der den mann in der vergangnen nacht getoedt hat: […] Darumb, Varro, ledig sie und richt mich nach meinem verdienen! (Montanus 1899, 124; Hervorhebung durch die Verf.)

Mit dieser Infragestellung markiert der Text geradezu aufdringlich seine neuralgische Stelle: Die am Ende behauptete positive Regularität kann nur durch ein wundersames Umschlagsmoment, den plötzlich barmherzig gewordenen Verbrecher ermöglicht werden. Dies kann aber eben nicht mehr nachträglich als Providenz umgedeutet werden, denn die Allgemeinheit und die imitatio finden ihre Rechtfertigung gerade nicht mehr in einer providentiellen Ordnung, sondern können nur über mehrere kontingente Momente notdürftig in ihrer Geltung präsentiert werden.

Die Handlung selbst akzentuiert diese kontingenten Umstände für die Ordnungsrestitution, indem sie zeigt, wie prekär das feste Wissen und dessen Durchsetzung geworden sind, wenn sie auf Kontingenz setzen müssen. Damit wird aber auch das Fundament der Ordnungsrestitution und der Ordnung selbst an Kontingenz gebunden. Zugespitzt formuliert hat der vorgeführte Ordnungsentwurf sein Fundament in einer von irreduzibler Kontingenz gezeichneten Welt, seine Sinnhaftigkeit muss der Text an Umstände in der erzählten Welt zurückbinden, die jedoch eine solche eben gerade nicht repräsentieren.28 Die mit dem Syntagma behauptete „Schließung einer anfänglichen Offenheit, […], Teleologie [und] Kontingenzbewältigung“ (Warning 2003, 179)29 wird mit Blick auf das Erfahrungswissen der narratio als lediglich scheinhafte entlarvt. Demnach ließe sich hier eine literarische Kleinform erkennen, deren linearer Erzählverlauf trotz des übergreifenden Syntagmas keine bedeutungsvolle Ganzheit mehr erzeugt: Das Erzählen widersetzt sich vielmehr in intrikater Weise Ordnungsbestrebungen, indem es die „Regelhaftigkeit in der Zufälligkeit des singulären Ereignisses“ aussetzt (Welberry 1992, 162). Kontingenz wird damit nicht nur auf der Ebene der histoire deutlich, sondern auch auf der Ebene des discours – in einer Erzählweise, die Kontingenz exponiert.30 Mit Blick auf diese Zersetzung der Regularität und Ordnungsbehauptung des festen Wissens geht zugleich eine Autorisierung des narrativ geformten Erfahrungswissens einher, das an die Stelle von invariablen Strukturen und der Reproduktion bestehender Wissensbestände einen neuen Blick auf die Welt generiert und mit der Darstellung von Erfahrungen die Bedingung der Möglichkeit für die Produktion neuen Wissens schafft. In der Konzentration und Darstellung einer kontingenten Welt liegt damit auch die Möglichkeit der Aufwertung des Selbstgesehenen und Erlebten. Durch Narration werden situative Bedingungen etabliert, unter denen festes Wissen sich bewähren soll, gleichzeitig werden Bedingungen und Grenzen der Möglichkeit für festes Wissen transparent gemacht. Wissen wird hierbei auf unterschiedlichem diskursivem Niveau präsentiert. Im Text zeigen sich zwei Modi des Wissens und damit auch unterschiedliche Modi der Wissensbegründung und Wissensorganisation, welche einerseits auf dem Erfaren von Welt beruhen, andererseits auf der Tradition der Exemplarizität. Doch werden diese hier prekär miteinander verkoppelt, die narratio ist keine metonymische Konkretisierung der moralisatio, sondern tritt in Spannung zu ihr; die narratio führt auf der Oberfläche zur Ordnungsrestitution, markiert aber zugleich die Brüchigkeit des exemplarischen Diskurses.

5. Rahmung und Partikularität

Ich breche die Analyse an dieser Stelle ab und kehre noch einmal zur Vorrede und der Frage der moralischen Rahmung zurück. Die Vorrede präsentiert, wie bereits skizziert, die Historia als Ausweis dafür, „[w]as recht lieb und freündtschafft sey“ (Montanus 1899, 7). Dabei täuscht sie aber nicht nur über den in der Erzählung selbst als konflikthaft dargestellten Gegensatz von gleichzeitig zu verwirklichender Liebe und Freundschaft hinweg, indem sie als Grund der Krankheit des Titus „die lieb“ setzt, die ihn „sehr thet krencken“ (ebd., 7). Überdies endet die Zusammenfassung der Geschichte in der Vorrede an einem neuralgischen Punkt der Historia, nämlich am Punkt der problematischen Symmetrisierung von gleichermaßen außergewöhnlicher Not, in der sich Freundschaft als höchste Tugend bewähren muss. Sie blendet dabei die Kontingenz- und Noterfahrung, die eben dann entfaltet wird, wenn „Gisippus von in ward beschicket“ (ebd., 8), ebenso aus, wie das präsentierte Erfahrungswissen davon, dass zur Etablierung der am märchenhaften Schluss gezeigten Harmonisierung von Liebe und Freundschaft gerade das Gegenteil von moralischen Normen und Tugenden notwendig ist.

Der Abbruch der Geschichte in der Vorrede dient somit nicht, wie Schwitzgebel (1996, 123) annimmt, nur dazu, „Spannung [zu] erzeug[en] und ein[en] Leseanreiz“ zu geben; auch geht es nicht darum, dass „Montanus […] ein konkretes Anwendungsbeispiel vorführt und durch ansatzweise Rekapitulation einer der Historien demonstriert, wie bzw. was man aus ihr lernen könne“ (ebd., 131). Vielmehr scheint der Abbruch der Zusammenfassung in besonderer Weise die Problematik des Exemplarischen zu markieren, macht doch die Historia, auf die verwiesen wird, gerade deutlich, dass die Welt zu komplex geworden ist, als dass sie sich mit einer propositionalen Norm regulativ erfassen ließe. Der Rahmen, der gerade den Abbruch der Erzählung forciert, könnte auf diese Weise auf seine eigene Brüchigkeit verweisen: Er stellt heraus, dass er Partikulares und Besonderes nicht mehr übergreifend zu synthetisieren vermag.

Dies müsste im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass die Prosaerzählsammlung lediglich als delectatio zu verstehen ist. Vielmehr könnte sich in der spezifischen Form der Sammlung von Historien abzeichnen, dass sich hier anders als in der Exempelsammlung mit der Zusammenstellung der textuellen Elemente keine „Totalität der additiven Wahrheit“ (Haug 1991, 270) mehr behaupten kann und will, die sich „als die Summe aller beispielhaften Einzelerfahrungen dar[stellt]“ (ebd., 269). Es ginge also gerade darum, Vereinzelung, Partikularität und Desintegration auszustellen. Damit nehmen die einzelnen Texte der Prosaerzählsammlung nicht mehr auf die Welt im Gesamten Bezug, sondern lediglich auf einzelne Weltausschnitte, die sich zu keinem geordneten Ganzen im Hinblick auf Sinnhaftigkeit, Regularität oder Repräsentanz mehr subsummieren lassen. Mit Blick auf diese diskursive und textuelle Spezifik könnten der Wegkürzer, aber auch die übrigen Prosaerzählsammlungen des 16. Jahrhunderts, deren Programmatik sich ebenfalls einem geordnetem Ganzen entzieht und sich vielmehr als ‚Wimmeln und Wuchern‘ (in Johannes Paulis Schimpf und Ernst sowie im Nachtbüchlein Valentin Schumanns)31 oder als „akkumulierende und expansive ‚Logik‘ des Sammelns“ (Jacob Freys Gartengesellschaft)32 beschreiben ließe, geradezu als Ausweis der epistemischen Situation der Frühen Neuzeit gesehen werden – eine Situation, in der das, was erfahren wird, und das, was durch den Bezug auf Autoritäten abgesichert scheint, unabgestimmt bleibt und in der sich zeigt, dass das partikulare Erfahrungswissen nicht mehr in einem unhintergehbaren Normhorizont oder einer letztgültigen Ordnung zu synthetisieren ist. Die Funktion der Prosaerzählsammlungen wäre damit nicht in der exemplarischen Lehre zu sehen, sondern in der Diskursivierung von ‚Erfahrung‘.

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Dr. Carolin Struwe-Rohr
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Deutsche Philologie
Schellingstr. 3/RG
80799 München
E-Mail:
carolin.struwe@germanistik.uni-muenchen.de
URL:
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1 Siehe hierzu Lieb (1996, 10), der eine solche in der „expandierende[n] narratio“ der Fabeln des Burkard Waldis erkennt.

2 Der Terminus ‚Schwanksammlung‘ ist insofern missverständlich, als sich in den betreffenden Sammlungen seit Johannes Paulis Schimpf und Ernst (1522) verschiedene Texttypen finden; die Fabeln, Exempel, Novellen, Schwänke und faktualen Erzählungen werden dabei nicht selten unterschiedslos z.B. als ‚Historia‘ bezeichnet. Der Begriff ‚Prosaerzählsammlung‘, geprägt von Dieckow (1996, 85) erfasst deshalb trotz zwangsläufiger Reduktionen die wenig determinierte Sammlungspolitik in diesen Sammlungen am ehesten.

3 Siehe aber die Veröffentlichungen von Waltenberger 2006a und 2006b, Strohschneider 2007b, von Ammon / Waltenberger 2010, die im Rahmen des Teilprojekts B 6 („Autorität des Nichtigen“) des SFB 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit“ die Schwanksammlungen erstmals mit einer systematischen Beobachtungseinstellung untersuchten.

4 Dagegen aber schon Kocher 2005, 415-423.

5 Mit Blick auf die Entwicklung der Drucktechnik erscheint dies insofern plausibel, als auf diese Weise nicht nur die Verbreitung von tradiertem Wissen ermöglicht wird, sondern auch „qualitative Veränderungen des Wissens verstärkt und verursacht werden“ können: „Der Buchmarkt ermöglicht es, solche heterogenen Wissensbestände in rascher Folge und großer Menge zu verbreiten“ (Lasch 2011, 268).

6 Ich beziehe mich dabei auf Dorothy Hollands und Naomi Quinns Definition (1987, 4): „what they [the people, Anm. d. Verf.] must know in order to act as they do, make the things they make, and interpret their experience in the distinctive way they do“.

7 Diese Konzepte gehen von der Unterscheidung zwischen logisch-wissenschaftlichem und narrativem Denken (Jerome S. Bruner), bzw. narrativem und wissenschaftlichem Wissen (Jean-François Lyotard) aus. Siehe hierzu Bruner 1986 und Lyotard 1999.

8 Zu den hier entfalteten Definitionen ausführlich Struwe 2016, 10-31.

9 Siehe auch die Nachweise zum Verbum ‚erfaren‘. In: Deutsches Wörterbuch. Hg. von Jacob und Wilhelm Grimm. Fotomechanischer Nachdruck der Erstausgabe 1854–1984. Bd. 3. München 1999, Sp 788f.

10 Ich übernehme den Begriff von Wolfgang Harms (2004, 173), der damit „Wissen, das in enzyklopädisch angelegten Büchern tradiert und durch den Bezug auf Autoritäten geschriebenen Wissens abgesichert ist“, bezeichnet.

11 Die historische Schreibung der Umlaute und Diphthonge (oe/ue/ae/uo) in Quellenzitaten musste in diesem Aufsatz aus technischen Gründen aufgelöst werden.

12 Zu Arigos Übertragung siehe Theisen 1996 und Müller 1983. Beide Untersuchungen zeigen auf, dass Arigo, dessen Identität unklar ist, moralische Zusätze in das Decameron integriert. Nicht selten wird durch die „Diskrepanz von Geschehen und Kommentar“ damit ein „‘offener‘ Normenhorizont“ hergestellt (Müller 1983, 277).

13 Montanus 1899, 5. Zitiert wird hier und im Folgenden aus dieser Edition, die allerdings nicht auf dem Erstdruck (A) beruht, sondern auf einem Nachdruck (B) – der Wortlaut weicht jedoch an den hier behandelten Stellen nur unwesentlich ab. Siehe hierzu sowie zur Druckgeschichte auch Montanus 1899, XIX-XXIII.

14 Inwiefern der hier vorausgesetzte „grosse Plan“ des Decameron mit einer Moraldidaxe treffend bzw. hinreichend beschrieben ist, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden – es wäre aber mit Blick auf die Komplexität der darin entfalteten Novellen und den in der Rahmenhandlung narrativ entfalteten Verlust jeglicher Ordnung durch die wütende Pest, deren Grund unerklärbar bleibt, zumindest in Frage zu stellen.

15 Am zehnten Tag des Decameron sollen Geschichten von Menschen erzählt werden, die in Liebesangelegenheiten oder anderen Dingen Großmut oder Edelsinn bewiesen haben; er steht unter der Herrschaft von Panfilo.

16 Siehe zu diesem sich mit dem Begriff verbindenden Wahrscheinlichkeitspostulat Knape (1984, 311f).

17 Damit ist nicht impliziert, dass sich der Begriff in den Prosaerzählsammlungen „in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts […] in seiner Bedeutung (insgesamt) von der exemplarischen Historie mit deutlich didaktischem Impetus“ entferne, wird doch der moraldidaktische Anspruch aufgrund des Bezugs auf Paulis ‚Schimpf und Ernst‘ nicht aufgegeben (Knape 1984, 314). Siehe hierzu auch grundlegend Müller 1985.

18 Zur Unterscheidung zwischen Geltung und Gültigkeit siehe Christoph Lumer (2010, 811–818). Ich übernehme die von ihm vorgeschlagene Trennung zwischen „Geltung […] in der Bedeutung ‚anerkennende Geltung‘“ und „Gültigkeit […] in der Bedeutung ‚philosophische objektive Gültigkeit‘“ (ebd., 812).

19 Kablitz arbeitete bereits für die italienische Vorlage, die Boccaccio-Novelle, überzeugend heraus, dass die hier entwickelte Problemkonstellation einen Diskurs verhandelt, der bereits in der Antike als konflikthaft begriffen wird: „Schon die antiken Theoretiker der amicitia also bieten letztlich keine konsistente Verhältnisbestimmung zwischen Freundschaft und Moralgesetz an. Nur am Rande sei vermerkt, daß Cicero im 34. Abschnitt seines Laelius interessanterweise eine Konkurrenz in Sachen einer Heiratspartie als einen der häufigsten Gründe für das Zerbrechen einer Freundschaft anführt. Die Handlung des Romans kreist also gerade um einen topischen Fall der Bedrohung der amicitia, und auch hier ist ja das Leben des Prophilias gefährdet“ (Kablitz 1993, 152, Anm. 18).

20 Siehe hierzu die entsprechenden Bibelstellen: Lk 6,31: „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen“ sowie Mt 7,12 „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ Die erste Stelle folgt dem Gebot der Feindesliebe und verlangt dabei Verzicht auf eine Gegenleistung. Damit verbindet sich die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes beim Jüngsten Gericht (Lk 6,32–38). Auffällig könnte hier bereits sein, dass ein allgemeingültiger Satz lediglich auf Freunde bezogen wird und nicht auf alle Mitmenschen Anwendung findet. Diese Einengung könnte bereits auf die bei Gisippus vollständig formulierte Freundschaftsauffassung als verabsolutierte hindeuten.

21 Eine Pointe, die hier nicht explizit markiert wird, über die Symmetrisierung von verschiedenen Strukturen und Motiven jedoch naheliegt, ist die zu Beginn des Textes beschriebene äußerliche Gleichheit von Gisippus und Titus, die hier zur erfolgreichen Umsetzung des Betruges beiträgt.

22 Diese Empörung hat Montanus in einer weiteren Bearbeitung des Stoffes weiter ausgebaut. Siehe hierzu das Drama von Martin Montanus „Von zweien Roemern, / Tito Quinto Fuluio / vnd Gisippo, / Ein newes lu / stigs, vnd sehr schoenes / Spiel, aus der Roemer Croni- / ca gezogen, wie die so vnmensch- / liche grosse liebe zuo einander gewun- / nen, das sich auch ye einer für / den anderen inn / tod gab. / Durch Martinum / Montanum in druck / verfertiget. / Gedruckt zuo Strassburg / bey Paulo Messerschmidt. (Berlin Yp 9541). Darin hält die betrogene Sophronia eine Rede, in der sie Klage führt, und zwar sowohl gegen Gisippus als auch gegen Titus (fol. Ciija.).

23 Zudem könnte mit dem Verweis des Titus auf die „roemischen gemüth“ (Montanus 1899, 121) auch eine Drohung angedeutet sein, sein Recht auf Sophronia in allen Fällen durchzusetzen.

24 Vgl. Dyck 1991, 122–129. Siehe hierzu auch die für die Rhetorik der Frühen Neuzeit wichtigen Ausführungen zum Redner als vir bonus von Cicero (1977, 42/44): „Est enim eloquentia una quaedam de summis virtutibus; quanquam sunt omnes virtutes aequales et pares, sed tamen est specie alia magis alia formosa et illustris; sicut haec vis, quae scientiam complexa rerum, sensa mentis et consilia sic verbis explicat ut eos qui audiant quocumque incubuerit possit impellere; quae quo maior est vis, hoc est magis probitate iungenda summaque prudentia; quarum virtutem expertibus si dicendi copiam tradiderimus, non eos quidem oratores effecerimus, sed furentibus quaedam arma dederimus.“ Siehe hierzu auch Robling 2000, 67–80 und die dort aufgeführte Literatur.

25 Siehe hierzu den ähnlichen Befund bei Kablitz (1993, 162) für die Novelle Boccaccios.

26 Die breit ausgeführte Erläuterung dieser Exemplarität durch Filomena, wie sie in Arigos Decameron-Übertragung ebenso wie in Boccaccios Werk noch zu finden war, wird damit auf eine Minimaldeutung zusammengeschrumpft.

27 Siehe zu ähnlichen Beobachtungen zu den weiteren Adaptationen aus Boccaccios Decameron im Wegkürzer auch Waltenberger 2006b. Dieser Fokus auf Erfahrungshaftigkeit von Not und Kontingenz lässt sich auch bei den von Waltenberger analysierten Mord- und Raubgeschichten innerhalb der Prosaerzählsammlung erkennen (2006b, 11-13). Wo Waltenberger in disen Erzählungen allerdings noch eine „narrative Sinnstiftung“ durch ein „‘ernste[s]‘ Erzählen“ (ebd., 13) erkennen kann, wäre mit Blick auf die Historia von Gisippi und Titi diese Sinnstiftung in Frage zu stellen.

28 Siehe hierzu auch die Ausführungen von Strohschneider (2007a) zum Pfaffen Amis.

29 Warning beschreibt damit die Auffassung der strukturalistischen Erzähltheorie, gegen die er sich dezidiert wendet.

30 Gegen Paul Ricœur, der das Erzählen als Zusammenfassung von Ereignissen sieht, die zu einer Konfiguration führe, welche den linearen Erzählverlauf strukturiert und zu einer bedeutungsvollen Ganzheit macht. Diese Perspektive werde jedoch erst nach der Beendigung der Erzählung im Rückblick möglich (vgl. Ricœur 1986, 23f.). Ricœur geht hierbei von einer Bändigung der „wilden Kontingenz“ in eine „geregelte Kontingenz“ durch das Erzählen aus (ebd., 16).

31 Siehe hierzu die Beobachtungen zu diesen Texten bei von Ammon / Waltenberger (2010).

32 Siehe hierzu die Ausführungen zur Sammlungs-‚Logik‘ der Gartengesellschaft bei Alexander Lasch (2011).