Angela Gencarelli

‚Entdeckungsgeschichten‘ der Quantenphysik

Zur narratologischen Erforschung einer naturwissenschaftlichen Erzählform

Scholars examining the significance of narration in the natural sciences currently face a striking research discrepancy: On the one hand, there is broad agreement that narrating plays a crucial role in the representation, popularization and even in the production of scientific knowledge. On the other hand, only a few case studies to date have discussed the specific narrative techniques employed in discourses or genres of natural sciences and their function. Hence, this article aims to draw attention to the particular features of a distinctive narrative form produced by quantum physicists in the first half of the 20th century: the ‘narrative of discovery’. Pioneering physicists such as Max Planck or Werner Heisenberg unfold the complicated paths to their respective major discoveries much as a gripping story, which follows numerous blind alleys and failures in extensive scientific-technical detail. The high degree of both narrativity and ‘scientificality’ apparent in these narratives of discovery indicates, as the article argues, that the physicists strove to construct the genesis of their groundbreaking discoveries in a narrative way in order to achieve a deeper understanding of the discovery itself.

Einleitung

In den aktuell geführten Diskussionen1 über das Verhältnis zwischen Erzählen und Wissen hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass das Erzählen in der Darstellung, der Vermittlung und sogar in der Produktion von szientifischem Wissen zum Tragen kommt, also epistemisch wirksam ist. Welche aber sind die konkreten narrativen Verfahren, die in der Produktion und Distribution von szientifischem Wissen eingesetzt werden?

Insbesondere für den Bereich der Naturwissenschaften ist diese Frage nach der genauen narrativen Gestaltung wissenschaftlicher Text- bzw. Darstellungsformen bislang erst in Ansätzen beleuchtet worden. Noch im Jahr 2009 konstatiert die Wissenschaftshistorikerin Christina Brandt, dass eine „dezidiert narratologische Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen Erzählen [...] ein Desiderat“ darstellt (Brandt 2009, 86). Angesichts der gesteigerten Aufmerksamkeit, die der epistemischen Relevanz des Erzählens in den Literatur- und Kulturwissenschaften sowie in der Wissenschaftsgeschichte und -rhetorik zu Teil wurde,2 mag dieses Urteil über das Fehlen konkreter Fallstudien zu den Formen und Funktionen des Erzählens in den Naturwissenschaften überraschen. Gerade aber die Popularität des Erzählbegriffes sowie seiner Varianten in unterschiedlichen Disziplinen trägt zur Schieflage in der gegenwärtigen Forschung bei. So kritisieren die Herausgeber einer im Jahr 2014 erschienenen, die aktuellen Debatten aufgreifenden Ausgabe von Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte zu Recht, dass der „teils inflationär verwendete Begriff [des Narrativs in den Kultur- und Geisteswissenschaften] bei genauerem Hinsehen häufig unreflektiert und entsprechend ungenau eingesetzt“ (Kilcher / Kappeler / Sarasin 2014, 7) wird. Diese Kritik teilt auch Christina Brandt mit Blick auf den engeren Bereich der Wissenschaftsforschung. Auch hier hat sich, so ist ihr beizupflichten, „ein sehr weiter Begriff der ‚Narration‘“ (Brandt 2009, 82) herausgebildet, der „ohne eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den in der Narratologie diskutierten Abgrenzungen des Gegenstandsbereichs auskommt und auf das in der Narratologie gebräuchliche Begriffsinstrumentarium für eine detaillierte Analyse verzichtet“ (Brandt 2009, 82). Die Wissenschaftshistorikerin selbst begegnet dieser Problematik damit, dass sie die bisherige Erforschung der rhetorischen, metaphorischen oder stilistischen Besonderheiten von wissenschaftlichen Textformen, wie sie insbesondere im Fokus der Wissenschaftsrhetorik bzw. der Writing-Science-Forschung stehen,3 an spezifisch narratologische Fragestellungen anschließt. An exemplarischen Fachartikeln aus der neueren biologischen Klon- und Humangenomforschung geht sie etwa solchen Aspekten wie der Ereignis- und Geschehensmodellierung, der Erzählinstanz und Erzählperspektive sowie den narrativen Verfahren der Erzeugung von Faktizität nach. Während damit für den Bereich der Biologie bereits profunde Ergebnisse über die narrative Verfasstheit einiger ihrer wichtigsten Textgenres vorliegen,4 steht die narratologische Erforschung solcher Wissenschaftsdisziplinen wie der Physik, die als ‚exakteste‘ Naturwissenschaft gilt, noch am Anfang.5 Welche Formen und Funktionen hat das Erzählen in einer Disziplin ausgeprägt, die sich ihrem Selbstverständnis nach auf das Ideal der Naturerklärung in Form von mathematisch formulierten Begründungs- bzw. Gesetzeszusammenhängen stützt?

Entdeckungsgeschichten – eine ausgeprägte Erzählform der Quantenphysiker

Diese Frage stellt sich noch dringlicher angesichts eines solch hochgradig abstrakten Bereichs der Physik, wie ihn die Quantentheorie darstellt. Diese entwickelte sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und avancierte zu einem zentralen Theorieparadigma der modernen Physik (vgl. Simonyi 2001, 425f). Werner Heisenberg, einer der wichtigsten Wegbereiter der Quantenmechanik und mithin der Erforschung des eigentümlichen Verhaltens der Materie und des Lichts auf subatomarer Ebene,6 hat immer wieder darauf verwiesen, dass sein Arbeitsgebiet Phänomene untersuche, die sich der sinnlichen Erfahrbarkeit entzögen: „Das Atom der modernen Physik kann [...] nur symbolisiert werden durch eine partielle Differentialgleichung in einem abstrakt vierdimensionalen Raum“ (Heisenberg 1949, 33). Angesichts der so artikulierten Notwendigkeit, sich bei der quantenphysikalischen Beschreibung (sub-)atomarer Phänomene einer mathematischen Form der Darstellung zu bedienen, erstaunt es nicht, dass sich die Einsatzpunkte des Erzählens in diesem Gebiet physikalischer Theoriebildung nicht auf den ersten Blick erschließen. Blickt man auf die Fachvorträge und Fachaufsätze zentraler Wegbereiter der Quantentheorie, zu denen neben Werner Heisenberg auch die Physiker Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr, Max Born, Wolfgang Pauli oder Pascual Jordan zu zählen sind, lassen sich narrative Verfahren nur am Rande und lediglich in einer basalen Form ausfindig machen. Im Vergleich zu solchen residualen Formen des Erzählens in den technischen Schriften der Quantenphysiker, die hier nicht weiter verfolgt werden sollen,7 tritt eine ausgeprägte und von ihnen regelmäßig akzentuierte Erzählform umso markanter hervor, die deshalb in den Fokus dieses Beitrags gerückt wird: Die Quantenphysiker machen als Erzähler auf sich aufmerksam, wenn sie den oft langwierigen Weg zur Auffindung ihrer wichtigsten Entdeckungen als eine Geschichte mit zahlreichen Komplikationen, Irrwegen und unerwarteten Wendepunkten konstruieren (vgl. exemplarisch Bohr 1961; Born 1955, 1961; Heisenberg 1956, 1960, 1975, 1977; Jordan 1975; Pauli 1946; Planck 1943, 1958a u. 1958b). Als Erzählanlass ihrer „Entdeckungsgeschichte[n]“, so hat Werner Heisenberg das Ergebnis des Erzählens der eigenen Wissensfindung einmal treffend auf den Begriff gebracht (1945, 15), dürfen die zahlreichen, innerhalb der Fachgemeinschaft der Physiker institutionalisierten Festveranstaltungen sowie Festschriften zur Würdigung ihrer wissenschaftlichen Leistung angesehen werden. Neben den Festsitzungen anlässlich ihrer höheren, runden Geburtstage, etwa in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), nutzen die Quantenphysiker auch solche exponierten festlichen Anlässe wie die Verleihung des Nobelpreises dazu, ihren gedanklichen Wissensfindungsprozess im Detail narrativ zu konstruieren. Obwohl sich diese Festveranstaltungen teilweise auch an ein breiteres, akademisch gebildetes Publikum richten, sind die Entdeckungsgeschichten der Quantenphysiker nicht als eine populärwissenschaftliche Darstellungsform zu begreifen.8 In diesem Falle diente das Erzählen lediglich als eine Hilfe zur Veranschaulichung und Übersetzung eines Expertenwissens an eine breite Öffentlichkeit und hätte keinen Einfluss auf die Produktion des Wissens selbst.9 Vielmehr motiviert der spezifische Adressatenkreis, dem zum größten Teil dann doch Physiker sowie andere Naturwissenschaftler angehören, zur Ausbildung der Erzählform der Entdeckungsgeschichte: Sie entfaltet die gedankliche Bewältigung komplexer physikalischer Problemstellungen in aller wissenschaftlich-technischen Detailliertheit und bringt sie zugleich in die Form einer spannenden Geschichte, bei der die Irrwege, Rückschläge und unvorhersehbaren Wendungen des Erkenntnisprozesses aus der subjektiv-affektiven Perspektive des Forschers geschildert werden. Die Entdeckungsgeschichte zeichnet sich demnach durch eine hybride Kombination von wissenschaftlicher Sachdarstellung sowie fesselnder Erzählung der persönlichen Erkenntnisfindung aus. Als eine spezifisch naturwissenschaftliche Erzählform10 ist die Entdeckungsgeschichte in der Mitte des Spektrums anzusiedeln, das bislang als grundlegend für die Einsatzgebiete des Erzählens in der ‚harten‘ Wissensproduktion einerseits und der bloßen Popularisierung bereits vorhandener Erkenntnisse andererseits erachtet wird:11 Das Erzählen der eigenen Entdeckungsgeschichte, so lässt sich für die hier im Mittelpunkt stehenden Quantenphysiker vorläufig festhalten, fördert zwar kein neues Wissen zutage, das unmittelbar zur Theoriebildung der Quantenphysik beiträgt. Jedoch erzeugen die Physiker durch das Erzählen des gedanklichen Erkenntnisprozesses ein reflexives Meta-Wissen über die Bewältigung physikalischer Problemstellungen, das zu einem erweiterten Verständnis der Entdeckung selbst beiträgt.

Komplizierte Auffindungsgeschichten statt einlinige Fortschrittsgeschichten

Diese Überlegungen sollen im Folgenden am Beispiel der Entdeckungsgeschichten des Physikers Max Planck, der als Begründer der Quantentheorie gilt, belegt werden. Der Nobelpreisträger brachte gleich mehrere Entdeckungsgeschichten zu der von ihm um die Jahrhundertwende postulierten,12 fundamentalen Naturkonstante des sog. Planckschen Wirkungsquantums in Umlauf (vgl. Planck 1943, 1958a u. 1958b). Plancks Entdeckungsgeschichten sind bemerkenswert, weil sie den unwägbaren Erkenntnisprozess auf dem Weg zu einem Fund erzählen, also die gedankliche Bewältigung eines physikalischen Problems mit allen Irrwegen in eine narrative Abfolge bringen. Die Besonderheit, dass Planck die problematische Genese seiner wichtigsten Entdeckung auf narrative Weise bearbeitet, tritt deutlich zutage, wenn man eine andere, den Wissenschaftshistorikern bereits vertraute Erzählform betrachtet, die der Begriff ‚Entdeckungsgeschichte‘ gleichfalls evozieren könnte: nämlich die herkömmliche, von Naturwissenschaftlern quasi ‚nebenberuflich‘ über ihr eigenes Fach geschriebene Geschichte, die den Prozess der Wissenschaft als einen voranschreitenden Weg von Entdeckung zu Entdeckung erzählt. Während diese zu Recht als unkritisch verworfenen Fortschritts- und Erfolgsgeschichten den Forschungsprozess lediglich als eine Aneinanderreihung erfolgreicher und vollendeter Entdeckungen erfassen, legen die hier untersuchten Entdeckungsgeschichten den Fokus auf den persönlichen Erkenntnisprozess, der nicht linear auf die Entdeckung zuläuft. Dabei berücksichtigen sie typischerweise die Unwägbarkeiten und Zufälle von Erkenntnisprozessen sowie Fehlschläge und Missgeschicke des Forschers im Vorfeld seines Fundes.

Diese Eigenheit ist angesichts der sonst geläufigen Schreibkonventionen gängiger Textgenres innerhalb der (Quanten-)Physik sowie der Naturwissenschaft insgesamt beachtlich. Dass die Physiker mit ihren hier interessierenden Entdeckungsgeschichten gegen etablierte Schreibkonventionen, insbesondere die des naturwissenschaftlichen Fachartikels, verstoßen, führt eine Überlegung des Physikers Richard P. Feynman vor Augen. Der US-amerikanische Theoretiker eröffnet seine Vorlesung anlässlich der Verleihung des Nobelpreises im Jahr 1965 mit den folgenden Sätzen:

We have a habit in writing articles published in scientific journals to make the work as finished as possible, to cover up all tracks, to not worry about the blind alleys or to describe how you had the wrong idea first, and so on. So there isn’t any place to publish, in a dignified manner, what you actually did in order to get to do the work [...]. So, what I would like to tell you about today are the sequence of events, really the sequence of ideas, which occurred. (Feynman 1966, 699; Hervorhebung A.G.)

Der Physiker macht in differenzierter Selbstreflexivität, die Naturwissenschaftlern manchmal von Seiten historischer Epistemologen abgesprochen wird, auf zentrale Verfahrensweisen des naturwissenschaftlichen Schreibens aufmerksam: Im naturwissenschaftlichen Fachaufsatz, insbesondere in seiner standardisierten und in einem Periodikum veröffentlichten Form seit dem späten 19. Jahrhundert (vgl. Brandt 2009, 105 u. 107), wird die Prozesshaftigkeit der Forschung einer rhetorisch arrangierten Version eines geradlinigen Wegs zur Entdeckung untergeordnet (vgl. Knorr Cetina 1984, 210-244 sowie Harré 1991, 87). Die von Feynman angedeuteten „tracks“, die auf das Forschersubjekt, auf den konkreten Ort oder die Zeit der Forschungsarbeit hindeuten, werden sprachlich getilgt, um den Eindruck von Objektivität bzw. allgemeingültiger Wahrheit zu erzeugen (vgl. Knorr Cetina 1984, 211 sowie Harré 1991, 99f). Insofern der Fachartikel ausschließlich wissenschaftliche Tatsachen als Endpunkte einer wissenschaftlichen Unternehmung berücksichtigt („as finished as possible“), werden die Sackgassen und Irrtümer der Denk- und Forschungstätigkeit weitgehend ausgespart.13 Diese und weitere grammatische wie rhetorische Kunstgriffe im naturwissenschaftlichen Fachartikel seit dem späten 19. Jahrhundert hat Christina Brandt einmal als textuelle „Strategien der Denarrativierung“ charakterisiert (2009, 104). Darunter versteht Brandt zusätzlich zu den bereits erwähnten Schreibverfahren solche, die den Charakter des Forschungsprozesses als zeitliches Geschehen mit handelnden Akteuren etwa im Labor zurücknehmen (vgl. ebd.). Insbesondere gegen solche antinarrativen Genrekonventionen des Fachartikels setzt der Physiker Feynman einen dezidiert narrativen Modus des Sprechens über das eigene wissenschaftliche Tun. In der exzeptionellen Redesituation anlässlich des Erhalts seines Nobelpreises löst er performativ ein, was er konstatiert; er erzählt, auf welchem Weg er zu seiner Entdeckung gekommen ist und zwar indem er, so sein Anspruch, sein tatsächliches Tun in eine narrative Sequenz von Ereignissen und Gedanken bringt, die vor allem falsche Ideen und Sackgassen berücksichtigt. Feynman produziert also, ebenso wie andere Quantenphysiker vor ihm, eine Entdeckungsgeschichte. Wie das zuvor angeführte Zitat zeigt, ist diese Entdeckungsgeschichte aus der Sicht des Physikers lediglich als eine Rekonstruktion des tatsächlichen Wissensfindungsprozesses („what you actually did“) zu begreifen, während aus dem Blickwinkel des Erzählforschers von einer Konstruktion auszugehen ist: Erst die kohärenzstiftende Qualität des Erzählens bringt die oft inkohärenten Erkenntnis- und Verstehensprozesse in die Form eines Plots und damit einer Geschichte. Auf diese Weise kommt der persönliche, komplizierte Weg zu einem Fund auf „würdevolle Weise“ („in a dignified manner“) zur Sprache, so Feynman, und muss nicht wie im Fachartikel verschleiert und begradigt werden.

Max Plancks narrative Bearbeitung einer unbequemen Entdeckung

Ob Max Planck, der bekanntlich fast ein halbes Jahrhundert vor Feynman, also im Jahr 1918,14 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ebenso mit den Schreibkonventionen seines Faches gehadert hat, lässt sich nicht sagen. Fest steht aber, dass auch er die Ausnahmesituation anlässlich der Zuerkennung des Nobelpreises dazu genutzt hat, seinen Weg zur Auffindung des Wirkungsquantums erzählerisch zu konstruieren. Während manche anderen Physiker in späteren Erzählungen Plancks Weg zu dieser fundamentalen Naturkonstante als einzigen „Triumphzug“ eines durch „unerwartete Gnade“ erleuchteten „Genies“ konzipieren (de Broglie 1948, 138f.), schlägt der Physiker selbst in seiner Nobelpreisvorlesung andere Töne an: Seiner langjährigen Suche nach dem Gesetz der Strahlung der sog. schwarzen Körper (dazu später genauer) schreibt er einen Plot ein, der sich an den „Kreuz- und Querfahrten“ eines „emsig Forschenden“ entlang hangelt (Planck 1958a, 121). Diese narrative Konstruktion eines „langen, vielfach verschlungenen Weg[es]“ (ebd.), der erst über die langwierige Erforschung der Wärmestrahlung der schwarzen Körper schließlich zur unerwarteten Auffindung der später als revolutionär eingestuften Naturkonstante des Wirkungsquantums führt, soll nun genauer betrachtet werden.

Es handelt sich bei Plancks Entdeckungsgeschichte um eine ihrem Anspruch nach faktuale, retrospektive Ich-Erzählung, bei der zwischen dem erzählenden Ich und dem erzählten Ich zu unterscheiden ist. Die Position des erzählenden Ich markiert der Physiker deutlich zu Beginn seiner Geschichte:

[I]ch [blicke] zurück auf die nun schon zwanzig Jahre zurückliegende Zeit, da sich der Begriff und die Größe des physikalischen Wirkungsquantums zum erstenmal aus dem Kreise der vorliegenden Erfahrungstatsachen herauszuschälen begann (ebd.).

Diesen Prozess vergegenwärtigt der Erzähler Planck15 anschließend als ein offenes Geschehen, indem er sein erzähltes Ich zwanzig Jahre in der Zeit zurückversetzt. Ausgehend von seinem vorgeblichen Wissens- und Erkenntnisstand vor dem Fund lässt er sein erzähltes Ich einen gedanklichen Prozess zur Auffindung des Wirkungsquantums mit zahlreichen Fehlern und Irrtümern durchleben. Dementsprechend beginnt Plancks Entdeckungsgeschichte mit einer für das erzählte Ich zu lösenden physikalischen Problemstellung:

Für mich war ein [...] Ziel seit langem die Lösung der Frage nach der Energieverteilung im Normalspektrum der strahlenden Wärme. Seitdem Gustav Kirchhoff gezeigt hatte, daß die Beschaffenheit der Wärmestrahlung, die sich in einem von beliebigen emittierenden und absorbierenden, gleichmäßig temporierten [sic] Körpern begrenzten Hohlraum ausbildet, völlig unabhängig ist von der Natur der Körper [...], war die Existenz einer universellen Funktion erwiesen, die nur von der Temperatur und der Wellenlänge, aber von keinerlei besonderen Eigenschaften irgendeiner Substanz abhängt, und die Auffindung dieser merkwürdigen Funktion versprach tiefere Einblicke in den Zusammenhang zwischen Energie und Temperatur. (Planck 1958a, 121f.)

Wie viele Entdeckungsgeschichten der Physiker beginnt auch Plancks Erzählung mit einem Aufriss der physikalischen Problemstellung, die das erzählte Ich in der Folge zu bewältigen hat. In Plancks Fall handelt es sich um die sog. Wärmestrahlung, die ein erhitzter Körper ab einer gewissen Temperatur in Form von Licht mit verschiedener Farbe (= Wellenlänge) aussendet. Als Problem erwies sich, die spektrale Zusammensetzung der Wärmestrahlung, die anhand der Strahlung des sog. schwarzen Körpers diskutiert wurde, zu erklären. Bei dem von Gustav Kirchhoff um 1860 eingeführten schwarzen Körper handelt es sich um einen idealisierten Körper, der von außen einfallende Strahlung vollständig absorbiert und wieder emittiert, sodass sich ein Strahlungsgleichgewicht einstellt (vgl. Simonyi 2001, 427 sowie Darrigol 2003, 332f.). Zwar konnte Kirchhoff zeigen, dass diese charakteristische Wärmestrahlung (Plancks ‚Normalspektrum‘) nicht von der Beschaffenheit des Körpers, sondern nur von der Temperatur und der Wellenlänge abhängig ist (vgl. Simonyi 2001, 425f.). Auf der Grundlage der bis dahin gültigen Theorien, der Thermodynamik sowie der Elektrodynamik, konnte das Strahlungsgleichgewicht aber bis zur Jahrhundertwende nicht erklärt werden (vgl. Jaeger 2015, 221f.).

Was nun den größten Teil von Plancks Erzählung ausmacht, ist der beschwerliche Weg zur „Auffindung dieser merkwürdigen Funktion“ (Planck 1958a, 122) für die Wärmestrahlung, die ihn unvorhersehbar und auf Umwegen zu seiner ungleich bedeutenderen Entdeckung des Wirkungsquantums führt. Seine wesentlichen Gedankengänge zur Lösung des Problems der Wärmestrahlung strukturiert Planck narrativ, indem er das erzählte Ich einen missglückenden Versuch nach dem anderen durchleben lässt und dadurch zu einem für Erzählungen typischen Spannungsaufbau beiträgt. So erzählt Planck zunächst, dass sich ihm „kein anderer Weg“ (ebd.) geboten habe, als sich „unter allen verschiedenartigen in der Natur vorkommenden Körpern [...] irgendeinen von bekanntem Emissions- und Absorptionsvermögen auszusuchen und die Beschaffenheit der mit ihm im stationären Energieaustausch stehenden Wärmestrahlung zu berechnen“ (ebd.). Seine Wahl fällt auf den „geradlinige[n] Oszillator von Heinrich Hertz, dessen Emissionsgesetze [...] Hertz kurz zuvor [also 1889] vollständig entwickelt“ (ebd.) habe. Mithilfe dieser Oszillatoren modelliert der Physiker, der sich als Theoretiker auf die Ableitung von Gesetzen für noch unerklärte Naturphänomene aus bereits bekannten Sätzen und Gesetzen stützt, den Prozess der Wärmestrahlung:

Wenn in einem rings von spiegelnden Wänden umgebenden Hohlraum sich eine Anzahl solcher Hertzscher Oszillatoren befindet, so werden sie durch Abgabe und Aufnahme elektromagnetischer Wellen [...] miteinander Energie austauschen, und schließlich müsste sich in dem Hohlraum die stationäre, dem Kirchhoffschen Gesetz entsprechende sogenannte schwarze Strahlung einstellen. (Planck 1958a, 122)

In der konjunktivischen Wendung deutet Planck bereits an, dass sich diese Hoffnung zerschlagen wird. „Ich gab mich damals der uns allerdings heutzutage etwa naiv anmutenden Erwartung hin“, so führt Planck weiter aus, „die Gesetze der klassischen Elektrodynamik würden [...] hinreichen, um das Wesentliche des zu erwartenden Vorgangs zu erfassen“ (ebd.). In der Tat lässt Planck seine „Entwicklung der Gesetze der Emission und Absorption eines linearen Resonators“ (ebd.) in einer Sackgasse enden: Zwar gelingt es ihm, die Energie des Oszillators bei einer ihn umgebenden Kugelwelle zu errechnen und daraus das „bemerkenswerte Resultat“ (ebd.) abzuleiten, dass der Energieaustausch zwischen Oszillator bzw. Resonator und der ihn umgebenden Strahlung „gar nicht abhängt von der Natur des Resonators“ (ebd., 123). Dieses Ergebnis aber sei nicht „mehr als ein[ ] vorbereitende[r] Schritt für die Inangriffnahme des eigentlichen Problems, das nun in seiner ganzen unheimlichen Höhe sich desto steiler auftürmte“ (ebd.). Planck steuert nun im Zentrum seiner Erzählung auf eine ganze Reihe von Komplikationen zu und genau diese Charakteristik erinnert an idealtypische Erzählungen, deren „Kraftzentrum“ aus der Komplikation erwächst (Koschorke 2012, 68). Zunächst sieht sich Planck mit unüberwindlichen Schwierigkeiten konfrontiert, als er die Gesetze der Strahlungsvorgänge im Hohlraum mit den Oszillatoren abzuleiten versucht:

Der erste Versuch zu einer Bewältigung mißlang; denn meine ursprüngliche stille Hoffnung, die von dem Resonator emittierte Strahlung werde sich in irgendeiner charakteristischen Weise von der absorbierten Strahlung unterscheiden und dadurch zu einer Differentialgleichung Anlaß geben, durch deren Integration man zu einer besonderen Bedingung für die Beschaffenheit der stationären Strahlung gelangen könne, erwies sich als trügerisch. Der Resonator reagierte nur auf diejenigen Strahlen, die er auch emittierte, und zeigte sich nicht im mindesten empfindlich gegen benachbarte Spektralgebiete. (Planck 1958a, 123)

Als Widerspruch zu seiner ursprünglichen Annahme stellt der Physiker heraus, dass sich im gedachten Hohlraum mit den Oszillatoren das zu erklärende Strahlungsgleichgewicht mit seinem typischen Spektrum unterschiedlicher Wellenlängen nicht herleiten ließ, da sich der Resonator als „nicht im mindesten empfindlich gegen benachbarte Spektralgebiete“ erwies. In dieser bereits dramatisch zugespitzten Situation lässt Planck noch einen seiner Widersacher auftreten, Ludwig Boltzmann, der „energischen Widerspruch“ (ebd.) gegen Plancks Annahme äußert, dass der Resonator eine „irreversible Wirkung auf die Energie des umgebenden Strahlungsfeldes“ (ebd.) ausübe. Nachdem Planck seine Hypothese mit Boltzmanns Argumenten, die hier nicht weiter erwähnt werden müssen, widerlegt, gibt er den eingeschlagenen Weg auf, die Wärmestrahlung auf Grundlage der Elektrodynamik zu erklären:

[S]o zeigte sich bei allen diesen Analysen doch immer deutlicher, daß zur vollständigen Erfassung des Kernpunktes der ganzen Frage noch ein wesentliches Bindeglied fehlen müsse.
So blieb mir nichts übrig, als das Problem einmal von der entgegengesetzten Seite in Angriff zu nehmen, von der Thermodynamik her, auf deren Boden ich mich ohnehin von Hause aus sicherer fühlte. (Planck 1958a, 123)

Man muss dem Erzähler Planck nun nicht auch noch auf diesem thermodynamischen Abschnitt seines „langen, vielfach verschlungenen Weg[es]“ folgen, auf dem es streckenweise noch technischer zugeht (vgl. ebd., 124f.), um das wesentliche Strukturprinzip seiner Erzählung zu verstehen: Die schwierige Bewältigung einer physikalischen Problemstellung erhält die Form einer verwickelten und deshalb spannenden Entdeckungsgeschichte, die nicht nur eine temporale Sequenzierung des Erkenntnisprozesses herstellt, sondern vielmehr auch eine sich dramatisch zuspitzende Abfolge von Komplikationen, Abbrüchen und Neuansätzen.

Was die Entdeckungsgeschichte Plancks besonders macht, ist der Umstand, dass sie entgegen der Erwartung nicht mit der Erlösung eines allen Bewährungsproben standhaltenden Entdecker-Genies endet. Denn nachdem der Erzähler Planck alle Schwierigkeiten der Erkenntnisfindung in ihrer „ganzen unheimlichen Höhe“ (ebd., 123) eindrücklich im Akt der Narration vergegenwärtigt hat, nur damit sein erzähltes Ich diese Hindernisse bewältigen kann, folgt keineswegs ein Entdeckungsmoment mit Heureka-Emphase. Vielmehr erwähnt er die lang hinausgezögerte, erfolgreiche Ableitung der Strahlungsformel bloß in einem lakonischen Nebensatz: „[U]nd damit war die neue Strahlungsformel gefunden“ (ebd., 125). Dass der Erzähler ausgerechnet an dieser Stelle ins Passivische ausweicht, lässt sich nicht lediglich mit dem typischen wissenschaftlichen Kunstgriff verrechnen, eine auf persönlichem Weg erarbeitete Erkenntnis schließlich als ein überindividuelles Faktum erscheinen zu lassen. Vielmehr drückt sich in dieser Formulierung aus, dass ihr Entdecker keineswegs glücklich ist mit der Aufstellung des Gesetzes für die Wärmestrahlung, obwohl dies anderen Physikern fast über ein halbes Jahrhundert nicht gelungen ist. In der Tat setzt sich Plancks Entdeckungsgeschichte nach der (vorgeblichen) Bewältigung des Problems der Wärmestrahlung mit neuerlichen Schwierigkeiten fort: Nach Ansicht des Physikers ist die „Strahlungsformel [...] lediglich eine[ ] glücklich erratene[ ] Interpolationsformel“ (ebd.), die deshalb „nur einen recht beschränkten Wert besitzt“ (ebd.). Und weiter schreibt er: „Daher war ich vom Tage ihrer Aufstellung an mit der Aufgabe beschäftigt, ihr einen wirklichen physikalischen Sinn zu verschaffen“ (ebd.). Erst in der Folge dieser Bemühungen gelangt er schließlich zum Wirkungsquantum, welches er bei der Errechnung der Entropie des Oszillatoren-Systems zunächst lediglich als eine Hilfskonstante eingeführt hatte:

Sehr viel unbequemer [ ] war die Deutung der zweiten universellen Konstanten des Strahlungsgesetzes [bei der ersten handelt es sich um die sog. Boltzmann-Konstante – A.G.], welche ich, weil sie das Produkt einer Energie und einer Zeit vorstellt, nach der ersten Berechnung 6,55 • 10-27 erg. • sec, als elementares Wirkungsquantum bezeichnete. (Planck 1958a, 127)

Plancks Wirkungsquantum tritt erst am Ende seiner Erzählung in Erscheinung und zwar just als eine Naturkonstante, die „unbequemer“ zu deuten ist als andere. Insofern kann auch hier von einem Heureka-Moment, das den Entdecker schließlich aus seinen Irrtümern erlöst, nicht die Rede sein. Vielmehr erscheint das Wirkungsquantum als ein zufälliges und ungeliebtes Nebenprodukt bei der Bewältigung einer anders gelagerten Problemstellung. Mag dieses Vorgehen auch der ursprünglichen Chronologie von Plancks Entdeckung geschuldet sein, wie man leicht an der Abfolge seiner Fachartikel zum Problem der Wärmestrahlung zeigen kann,16 so deutet sich in Plancks Erzählung noch ein gewichtigerer Grund an, das Wirkungsquantum so sang- und klanglos an das Ende seiner Geschichte zu verbannen: Obwohl sich das Wirkungsquantum zum Zeitpunkt der Narration bereits als fundamentale Naturkonstante mit einer über den begrenzten Bereich der strahlenden Wärme hinausgehenden universellen Gültigkeit durchgesetzt hatte, ist es Planck noch immer unbequem: So verweist Planck darauf, dass sich die fundamentale Naturkonstante „gegenüber allen Versuchen, sie in irgendeiner angemessenen Form dem Rahmen der klassischen Theorie einzupassen, als sperrig und widerspenstig“ (ebd.) erwiesen habe. Planck drückt damit seinen inneren Zwiespalt aus. Als überzeugter Anhänger der klassischen Physik war er bei der Ableitung des Gesetzes für die Wärmestrahlung ihren bis dahin unumstößlichen Theorien gefolgt, und hatte dabei, so wird es Werner Heisenberg in einer späteren Entdeckungsgeschichte zu Plancks Weg zum Wirkungsquantum ausdrücken, „entgegen seiner ursprünglichen Absicht“ (Heisenberg 1945, 7) zu ihrem Sturz beigetragen. Aus Plancks wahrscheinlichkeitstheoretischen Betrachtungen der Entropie des Oszillatorensystems folgte, dass die Energie der Oszillatoren immer nur ein ganzzahliges Vielfaches des Wirkungsquantums annehmen konnte. Später stellte sich heraus, dass das Wirkungsquantum eine fundamentale Rolle auch in anderen Naturprozessen spielt: Etwa vollzieht sich die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie ebenfalls nur ‚gequantelt‘, also in verschwindend kleinen Energiepaketen. Damit widersprach das Wirkungsquantum der klassischen Physik, nach der sich Naturprozesse kontinuierlich, d.h. ohne ‚Sprünge‘, vollziehen. Planck spitzt seine Entdeckungsgeschichte genau auf diesen finalen Konflikt zu:

[E]ntweder war das Wirkungsquantum nur eine fiktive Größe; dann war die ganze Deduktion des Strahlungsgesetzes prinzipiell illusorisch und stellte weiter nichts vor als eine inhaltsleere Formelspielerei, oder aber der Ableitung des Strahlungsgesetzes lag ein wirklich physikalischer Gedanke zugrunde; dann mußte das Wirkungsquantum in der Physik eine fundamentale Rolle spielen, dann kündigte sich mit ihm etwas ganz Neues, bis dahin Unerhörtes an, das berufen schien, unser physikalisches Denken, welches seit der Begründung der Infinitesimalrechnung durch Leibniz und Newton sich auf der Annahme der Stetigkeit aller ursächlichen Zusammenhänge aufbaut, von Grund aus [sic] umzugestalten. (Planck 1958a, 127)

Dies ist der entscheidende Umschlagspunkt in Plancks Entdeckungsgeschichte. Planck beendet hiermit die persönliche Erzählung seines Wegs zum Wirkungsquantum. Anschließend berichtet er summarisch aus einer vermeintlich neutralen Beobachterperspektive, dass andere Physiker die Realität des Wirkungsquantums nachgewiesen und erst zu einer umfassenderen Quantentheorie ausgebaut haben, sodass „kein anderer Entschluß übrig [blieb] als der, dem Wirkungsquantum [...] das volle Bürgerrecht in dem System der universellen physikalischen Konstanten zuzuschreiben“ (ebd., 130). Dass Planck die Leistungen solcher Physiker wie Einstein oder Bohr würdigt, ist nicht lediglich als eine Bescheidenheitsgeste zu verstehen, die bei solchen Preisreden sonst üblich ist. Vielmehr tritt er auch deshalb nicht mehr als Protagonist seiner Erzählung auf, weil er so seine Beteiligung an der Sammlung „erdrückende[n] Beweismaterial[s] zugunsten der Existenz des Wirkungsquantums“ (ebd., 129) relativiert, die zur ungeliebten Sprengung des „Rahmens der klassischen Theorie“ (ebd., 127) führt. So wundert es nicht, dass Planck selbst in seinem abschließenden Bericht über die erfolgreiche Erklärung einer ganzen Reihe von bis dahin ungeklärten Naturphänomenen mithilfe der Quantenhypothese anklingen lässt, welche „ungeheuerliche und [...] fast unerträgliche Zumutung“ (ebd., 131, Hervorhebung A.G.) einige ihrer Konsequenzen für „eine[n] Theoretiker [...] der klassischen Schule“ (ebd.) noch immer darstellten. Angesichts dieses mit drastischen Worten artikulierten, zwiespältigen Verhältnisses zu seiner Entdeckung versucht Planck zumindest für den weiteren Weg der Quantentheorie ein versöhnliches Ende zu finden, indem er beteuert, dass die Wissenschaft das „schwere Dilemma“ (ebd., 132), also die Risse im gültigen Theoriegebäude, meistern werde. Dieser Schluss aber liest sich wie ein verunglückter Versuch, die eigene Entdeckungsgeschichte doch noch an ein Fortschrittsnarrativ der Wissenschaften anzuschließen.

Plancks zwiespältiges Verhältnis zur eigenen Entdeckung haben auch spätere Erzähler seiner Entdeckungsgeschichte häufig akzentuiert.17 Angesichts seiner bis zu seinem Tod im Jahr 1947 währenden Weigerung, die Quantentheorie als abgeschlossene Theorie zu akzeptieren (vgl. Planck 1943, 159), hat sein einstiger Assistent Max von Laue einen „tragische[n] Schatten“ (1958, 226) auf dem „Lebenswerk“ (ebd.) des „Meisters“ (ebd., 221) ausgemacht. Insofern hat Planck selbst mit dieser Art der narrativen Bearbeitung der inneren Widersprüche seines Erkenntnisprozesses offenbar einen wichtigen Beitrag dafür geleistet, wie er in die Geschichte der Physik eingeht: Bis heute wird der Begründer der Quantentheorie als ein „Revolutionär wider Willen“ (Fischer 2007, 150) erinnert.18

Alles Geniegeschichten?

Nachdem Plancks narrative Konstruktion des beschwerlichen Weges zur eigenen Entdeckung umrissen wurde, soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Funktion solche Entdeckungsgeschichten erfüllen. Glaubt man der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung, dann scheinen solche Entdeckungsgeschichten nur mehr der Inszenierung eines Entdecker-Helden zu dienen, die dessen Weg zur Erkenntnis rückblickend begradigt und Erkenntnisprozesse auf das Modell eines inspirierten Genies zurückführt.19 Mit Blick auf Plancks Entdeckungsgeschichte – und das gilt auch für andere der jeweils individuell gestalteten und deshalb differenziert zu betrachtenden Entdeckungsgeschichten von Quantenphysikern – trifft das aber schlichtweg nicht zu. Es ließe sich im Gegenteil vielmehr fragen, inwiefern Plancks Geschichte das Konzept einer augenblicklichen, sich nur dem inspirierten Genie offenbarenden Erkenntnis gerade dadurch entmythisiert, dass sie das Auffinden der fundamentalen Naturkonstante zeitlich ausdehnt als einen „langen, vielfach verschlungenen Weg“ (Planck 1958a, 121) aus Misserfolgen und Neuansätzen. Außerdem erscheint Planck am Ende nicht als ein über alle Widrigkeiten triumphierendes Genie, sondern als ein äußert zwiespältiger Wissenschaftler, der einen Fund gemacht hat, den er weder gesucht noch in seiner Konsequenz akzeptieren kann. Dass sich Planck nicht als Entdecker-Genie begreift, macht er besonders mit einem Zitat aus Goethes Faust deutlich: „Blicke ich zurück [...] auf den langen, vielfach verschlungenen Weg [zum Wirkungsquantum – A.G.] [...], so will mir [...] diese ganze Entwicklung bisweilen vorkommen als eine neue Illustration zu dem altbewährten Goetheschen Wort, daß der Mensch irrt, solange er strebt“ (Planck 1958a, 121). Damit charakterisiert Planck seine „angestrengte Geistesarbeit“ (ebd.) vor dem Auffinden der fundamentalen Naturkonstante als einen Weg voller Irrtümer. In dieser Akzentuierung des Erkenntnisprozesses zeichnet sich bereits eine Tendenz zur Entmythisierung des Exaktheitsanspruchs der Physik ab, wie sie auch ansatzweise in Plancks erkenntnistheoretischen Vorträgen zum Tragen kommt (vgl. Planck 1944 u. 1947). Planck betont in seiner Entdeckungsgeschichte, dass er das Problem der Wärmestrahlung nicht dank rationaler Methodik und rechnendem Verstand, etwa durch die folgerichtige Deduktion von Gesetzen aus bekannten Gesetzen, Prinzipien oder Sätzen, bewältigt hat, sondern durch unwägbares Glück beim Erraten von Formeln – man erinnere sich an die „glücklich erratene[ ] Interpolationsformel“ (ebd., 125).20

Erzählungen über die Bewältigung fachlicher Probleme als Verständnishilfe

Wenn demnach das Erzählen auch der Absurditäten der Wissensfindung in den hier gesichteten Entdeckungsgeschichten nicht in der Selbstglorifizierung eines heldenhaften Genies aufgeht, welche Funktion erfüllt es dann? Richard Feynman hatte, daran sei nochmals erinnert, für seine Entdeckungsgeschichte den Anspruch erhoben, dass er darin die Abfolge von Gedanken, wie sie sich tatsächlich zugetragen hätten, erzählen wolle („So, what I would like to tell you about today [...] are really the sequence of ideas, which occured“; Feynman 1966, 699). Man mag gegenüber der Authentifizierungsgeste nicht nur als Wissenschaftshistoriker, sondern auch als Narratologe durchaus Vorbehalte haben, denn jedweder Entdeckungsgeschichte ist ein nachträglicher Akt der Rationalisierung des Denkens und Handels eingeschrieben. Gleichwohl ist Feynmans Rückgriff auf das Erzählen als Modus der Sequenzierung von Gedanken bei der Lösung einer physikalischen Problemstellung beachtenswert. Wenn auch die gedankliche Problembewältigung zum Zeitpunkt der Narration, und das gilt auch für die anderen Entdeckungsgeschichten, bereits abgeschlossen ist, so nutzen die Quantenphysiker das Erzählen dennoch als ein Verfahren zur Strukturierung des eigenen Erkenntnisprozesses, d.h. zu seiner Zerlegung in einzelne Gedanken sowie deren Verknüpfung in Form einer Geschichte. Da das Erzählen per definitionem über die kausale Verknüpfung von einzelnen Ereignissen oder Sachverhalten hinausgeht,21 scheint es sich den Physikern zur nachträglichen Bearbeitung gedanklicher Prozesse, die sich selten an die Regeln der Logik und Ratio halten, geradezu anzubieten. Das Beispiel von Plancks Entdeckungsgeschichte zeigt, dass er hier das Erzählen als ein flexibles Verfahren der Kohärenzbildung einsetzt, dank dessen die Verknüpfung einzelner Gedanken nicht mehr nur den rigiden Regeln einer (deduzierenden) Logik zu gehorchen hat (so ein Gebot im Fachartikel), sondern der Logik des Erzählens. Dieser Logik nach bringt Planck seine bereits abgeschlossene gedankliche Bewältigung einer physikalischen Problemstellung in die Form einer sich von Komplikation zu Komplikation entlanghangelnden Geschichte. Welche Bedeutung hat ein solches Erzählen, wenn die eigentliche Problembewältigung bereits abgeschlossen ist?

Unter dieser Bedingung hat die narrative Konstruktion des eigenen Gedankengangs freilich keinen Einfluss mehr auf die eigentliche Problembewältigung. Doch auch wenn die Entdeckungsgeschichten der Quantenphysiker kein ‚hartes‘ Wissen erzeugen, das die quantenphysikalische Theoriebildung unmittelbar voranbringt, sind sie nicht als unterhaltende Darstellung der abenteuerlichen Erkenntnisfindung anlässlich der diversen Festveranstaltungen abzutun. Das geht schon daraus hervor, dass die Entdeckungsgeschichten über den engeren Wirkungsradius der Festakte hinaus veröffentlicht wurden, und zwar vornehmlich in Zeitschriften, die sich an Physiker oder Naturwissenschaftler anderer Disziplinen richten.22 Angesichts ihrer Fokussierung der gedanklichen Genese vor der Entdeckung sowie der Darstellung dieses Wissensfindungsprozesses in allen wissenschaftlich-technischen Details lässt sich vielmehr fragen, ob sich die Entdeckungsgeschichten nicht vor allem als eine Form begreifen lassen, in der die Quantenphysiker dank ihres reflexiven Blicks auf die eigene Erkenntnisfindung ihre Erfahrungen und ihr Wissen über die Bewältigung physikalischer Problemstellungen zur Sprache bringen und weitergeben. Wenn Physiker wie Planck ihre gedanklichen Schritte bei der Bearbeitung physikalischer Fachprobleme in die Form einer Geschichte bringen, dann geben sie zugleich einen minutiösen Einblick in das eigene Vorgehen zur Problemlösung. Erst durch das Erzählen ihres eigenen Erkenntniswegs erzeugen sie demnach ein reflexives Wissen über die Bewältigung eines fachlichen Problems.

Ihre Geschichten richten sich deshalb auch weniger an eine breite Öffentlichkeit als vielmehr an Physiker sowie Naturwissenschaftler anderer Fachgebiete. Was solche Entdeckungsgeschichten bei einem Fachpublikum bewirken sollten, hat Planck in einer späteren Entdeckungsgeschichte auf den Punkt gebracht, die er im Jahr 1943 kurz vor seinem 85. Geburtstag verfasst hat:

Da mit dem Auftreten des elementaren Wirkungsquantums eine neue Epoche in der physikalischen Wissenschaft anhebt, fühle ich gegenüber den Physikern einer späteren Generation das Bedürfnis und die Verpflichtung, den mehrfach verschlungenen Weg, auf dem ich zur Berechnung dieser universellen Konstanten gelangt bin, so wie er sich in meinem Gedächtnis spiegelt, in einer zusammenfassenden Darstellung nach bestem Wissen zu schildern. (Planck 1943, 153)

Planck reicht es angesichts der tiefen Zäsur in der Geschichte der Physik offenbar nicht aus, „den Physikern einer späteren Generation“ lediglich seine Fachartikel zu hinterlassen. Stattdessen bringt er seine Auffindung des Wirkungsquantums erneut in die Form einer Geschichte, welche einen ganz ähnlichen Plot, also eine nicht lineare Folge gedanklicher Schritte zur Bewältigung einer Reihe von Komplikationen, aufweist und nur die „Berechnung d[e]r universellen Konstante“ noch detaillierter als seine frühere Entdeckungsgeschichte ausführt. Indem er seinen Erkenntnisprozess hier derart minutiös erzählt, macht Planck seine gedankliche Bewältigung des Problems der Wärmestrahlung für die ihm nachfolgenden Generationen besonders gut nachvollziehbar. Das Erzählen des schwierigen Wegs zur eigenen Entdeckung dient aber nicht allein der affektiven Ermutigung der Physiker angesichts der eigenen Fragestellungen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine solche Erzählung auch zu einem erweiterten Verständnis der Entdeckung selbst beitragen kann. Planck selbst hat diese erkenntnisfördernde Leistung der Entdeckungsgeschichte offenbar im Blick, wenn er sich an die „Physiker einer späteren Generation“ richtet. Er verbindet damit die Hoffnung, die zukünftige, für ihn noch nicht befriedigend abgeschlossene Ausarbeitung der Quantentheorie befördern zu können. So schließt er seine Entdeckungsgeschichte damit, dass „es noch grundlegender, jetzt noch nicht deutlich vorauszusehender Änderungen in unserer physikalischen Begriffsbildung bedarf, ehe die Quantentheorie denselben Grad der Vollendung erreicht, wie er seinerzeit der klassischen Theorie eigen war“ (ebd., 159). Physiker wie Planck bedienen sich demnach des Erzählens der eigenen Wissensfindung, um das weitere, noch bessere Verständnis der Entdeckung selbst zu fördern und auf diese Weise auf die zukünftige Theoriebildung einzuwirken.

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Dr. Angela Gencarelli
Leuphana Universität Lüneburg
Institut für Geschichtswissenschaft und Literarische Kulturen
Scharnhorststr.
1, C5.223a
21355 Lüneburg
E-Mail:
angela.gencarelli@leuphana.de
URL:
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1 Vgl. Koschorke 2010 u. 2012 (bes. 329- 398). Auch eine der letzten Ausgaben der Zeitschrift Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte (10/2014) widmete sich der epistemischen Relevanz des Erzählens.

2 Neben den in der ersten Anmerkung erwähnten, neueren Publikationen beschäftigen sich auch Dear 1991, Harré 1991, Holmes 1991, Pernkopf 2013, Plotnitsky 2005 und Rouse 1990 mit der Relevanz des Erzählens in den (Natur-)Wissenschaften.

3 Für die Wissenschaftsrhetorik bzw. Writing-Science-Forschung sind folgende Publikationen einschlägig: Bazerman 1988; Gross 1990. Einen ausgezeichneten Überblick über die wissenschaftsrhetorische Forschung bietet der folgende Artikel: Klüsener / Grzega 2011.

4 Für den Bereich der Biologie liegen auch weitere, narratologisch inspirierte Studien vor. Vgl. Beer 1983; Myers 1990a und 1990b; Hays 2006; Wells 1993.

5 Die folgenden Studien beachten narrative Aspekte in unterschiedlichen Textgenres der Physik: Holmes 1991; Leane 2007; Mackey 1993; Mecke 2015.

6 Die Quantenmechanik befasst sich mit der „Beschreibung des Verhaltens von Materie und Licht in allen Einzelheiten, insbesondere der Vorgänge in atomaren Dimensionen.“ Feynman 1992, 17.

7 Solche residualen Formen des Erzählens verfolge ich in einem anderen, noch nicht publizierten Forschungsbeitrag zur Rolle des Erzählens in der quantenphysikalischen Gegenstandskonstituierung. Dieser widmet sich der narrativen Modellierung zentraler Paradoxien wie dem Welle-Teilchen-Dualismus in Vorlesungen von Quantenphysikern. Erste Arbeitsergebnisse habe ich bereits in einem Vortrag anlässlich des 25. Germanistentages im September 2016 in Bayreuth zur Diskussion gestellt.

8 Dies gilt insbesondere für die Nobelpreisvorträge im Bereich der Physik, Chemie, Physiologie bzw. Medizin. Rosemarie Gläser hat diese Textsortenvariante zu Recht den Fachvorträgen zugerechnet, die der interfachlichen Kommunikation dienen (vgl. Gläser 1990, 275-282). Andere Studien gehen davon aus, dass sich die Nobelpreis-Vorlesungen in erster Linie an die eigene Fachgemeinschaft richten (vgl. Ahmad / Musacchio 2006, 101f.), auch wenn unter der Mehrheit der anwesenden Naturwissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete auch ein breites, akademisch gebildetes Publikum anzutreffen ist.

9 Vgl. zu diesem Verständnis der Rolle des Erzählens in der Wissenschaftspopularisierung Koschorke 2012, 329.

10 Ich verstehe die Entdeckungsgeschichte aufgrund ihres hohen Fachlichkeitsgrades, der bis zur Erörterung der Gesetzmäßigkeiten von Naturphänomenen in aller wissenschaftlich-technischen Detailliertheit reicht, als eine naturwissenschaftliche Erzählform. Von einer genuin physikalischen Erzählform zu sprechen, scheint mir unzulässig, da außer den (Quanten-)Physikern auch Naturwissenschaftler anderer Fachgebiete regelmäßig die Form der Entdeckungsgeschichte in unterschiedlicher Ausprägung bedienen. Ein Beispiel ist der innerhalb wie außerhalb der Fachgemeinschaft der Molekularbiologen verbreitete Bericht The Double Helix (1968) von James D. Watson, in welchem der Nobelpreisträger seinen Weg zur Entdeckung der DNA erzählerisch konstruiert. Inwiefern sich die Entdeckungsgeschichten unterschiedlicher naturwissenschaftlicher Disziplinen hinsichtlich ihrer Erzählweise und ihrer Funktion ähneln bzw. voneinander unterscheiden, wäre weitergehend zu erforschen.

11 Vgl. zu diesem Spektrum Koschorke 2012, 329.

12 Als Geburtsstunde der Quantentheorie, die durch Plancks Entdeckung des Wirkungsquantums begründet wurde, gilt zumeist Plancks Aufsatz Zur Theorie des Gesetzes der Energieverteilung im Normalspectrum vom 14. Dezember 1900 (Planck 1900). Die wissenschaftshistorische Forschung ist sich aber darüber uneinig, inwiefern sich Planck der ganzen Tragweite seiner Hypothese, dass die Energie der Oszillatoren nur ein ganzzähliges Vielfaches des Wirkungsquantums annehmen kann, bewusst war und insofern als Begründer der Quantentheorie anzusehen ist. Vgl. Darrigol 2001.

13 Die skizzierten Schreibkonventionen im naturwissenschaftlichen Fachartikel haben sich seit dem späten 19. Jahrhundert und insbesondere im 20. Jahrhundert herausgebildet. In den Anfängen der neuzeitlichen Wissenschaften hingegen war es durchaus üblich, dass Forscher in aller Detailliertheit über die Umstände ihrer Experimente sowie auch über erfolglose Schritte berichtet haben. Vgl. Brandt 2009, 105-107.

14 Genau genommen wurde Planck der Nobelpreis erst 1919 für das Jahr 1918 zugesprochen, weil die im entsprechenden Jahr nominierten Kandidaten laut des Nobel-Komitees nicht die Vergabekriterien erfüllten. Vgl. http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1918/ (letzter Zugriff: 02.04.2017).

15 Nach Gérard Genette sind der Autor und der Erzähler in faktualen Erzählungen identisch zu setzen: „Mir scheint, daß ihre strenge Identität (A=N), soweit man sie feststellen kann, die faktuale Erzählung definiert – diejenige, in der, in Searles Worten, der Autor die volle Verantwortung für die Behauptung seiner Erzählung übernimmt und infolgedessen keinem Erzähler irgendeine Autonomie zubilligt“ (Genette 1992, 80). Dieser Ansicht schließe ich mich in Bezug auf Plancks Entdeckungsgeschichten, die ihrem Anspruch nach faktuale Erzählung sind, an. Christina Brandt schlägt in ihrer narratologischen Untersuchung biowissenschaftlicher Fachartikel hingegen vor, zwischen Autor und Erzähler zu unterscheiden (vgl. Brandt 2009, 101). Angesichts des verbreiteten Phänomens der kollektiven Autorschaft mit sehr vielen Verfassern, die sich u.a. mit dem Entstehen der Großforschung etwa seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat, lasse sich die erzählende Instanz nur als ein sprachliches Konstrukt begreifen (vgl. Brandt 2009, 101).

16 Planck zitiert in der später publizierten Nobelpreisrede seine Schriften in chronologischer Abfolge. Vgl. Planck 1958a, 132-134.

17 Nicht nur Planck selbst, sondern auch die anderen, oft persönlich mit ihm bekannten Physiker haben sich als Erzähler seiner, also Plancks (vermeintlicher) Gedankengänge auf dem Weg zum Wirkungsquantum, hervorgetan. Auf diese Weise avancierte Planck zum zentralen Protagonisten in zahlreichen Entdeckungsgeschichten der Quantenphysiker etwa seit den späten 1910er Jahren, als er den Nobelpreis bekam. Diese Erzählungen, die häufig bei Jubiläumsveranstaltungen zu Plancks Ehren in Umlauf gebracht wurden (vgl. z.B.: Heisenberg 1945; Lorentz 1925; Wien 1918), dürfen als Bestandteile eines Gründungsmythos der Quantenphysiker-Gemeinschaft verstanden werden.

18 Auch Domenico Giulini (2011) rekonstruiert Plancks unwillentlichen Bruch mit dem eigenen Forschungsprogramm.

19 Elisabeth Pernkopf (2013, 324) hat diese in Teilen der neueren Wissenschaftsgeschichte vertretene Ansicht treffend auf den Punkt gebracht.

20 Auf diese Quintessenz läuft auch Richard Feynmans Entdeckungsgeschichte hinaus: „I think equation guessing might be the best method for proceeding to obtain the laws for the part of physics which is presently unknown.“ Feynman 1966, 708.

21 Ich verstehe unter dem Begriff des ‚Erzählens‘ bzw. der ‚Erzählung‘ als Produkt des Erzählaktes die „sprachliche Darstellung eines Geschehens, also einer zeitlich organisierten Abfolge von Ereignissen“ (Klein / Martínez 2009, 6). Über die bloße zeitliche Abfolge hinaus werden Ereignisse in Erzählungen typischerweise zu einem sinnhaften Zusammenhang miteinander verbunden, sodass aus einem dargestellten Geschehen eine Geschichte wird (vgl. Martínez / Scheffel 2009, 111). Hinsichtlich der sinnhaften Verknüpfung von Ereignissen und damit der Gestaltung eines Sinnzusammenhangs weist das Erzählen einen gewissen Spielraum auf. So hat die Forschung unterschiedliche Formen der Motivierung eines Geschehens herausgearbeitet, darunter etwa die additive, temporale, kausale, final-motivierte, ästhetische oder teleologische Verknüpfung einzelner Ereignisse (vgl. dazu Martínez / Scheffel 2009, 111-119; Koschorke 2012, 74-84; Köppe / Kindt 2014, 51-61). Angesichts dieser unterschiedlichen, hier nicht vollständig aufgelisteten Typen der Ereignisverknüpfung lässt sich festhalten, dass das Erzählen seinen Reiz gerade durch die Vielfältigkeit der Möglichkeiten bei der Erzeugung sinnhafter Zusammenhänge gewinnt.

22 Die hier betrachteten Entdeckungsgeschichten wurden zumeist in der Zeitschrift Die Naturwissenschaften, in den Physikalischen Blättern, also der Mitgliederzeitschrift der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, sowie in Festschriften zu Ehren der jeweiligen Physiker veröffentlicht.