Jan Rüggemeier

Die Darstellung Jesu im Markusevangelium als Prüfstein des narrative criticism

Auf dem Weg zu einer erzähltheoretischen Christologie

Elizabeth Struthers Malbon: Mark’s Jesus. Characterization as Narrative Christology. Waco: Baylor University Press 2009. 286 S. EUR 36,99. ISBN 978-1-60258-247-7

1. Einordnung

Elizabeth Struthers Malbon, die eine Vertreterin des narrative criticism ist und die diesen textimmanenten Ansatz seit ihrem Erstlingswerk Narrative Space and Mythic Meaning aus dem Jahre 1991 für die Markusexegese fruchtbar zu machen versucht, legt mit ihrer Monografie eine zusammenfassende Darstellung ihrer 25-jährigen Markusforschung vor. Das Buch kann zugleich als ein Prüfstein für den Ansatz des narrative criticism gelten.

Malbons Arbeit geht dabei deutlich über die Ergebnisse einer historisch ausgerichteten, d.h. primär an der Textgenese interessierten Exegese hinaus. Während die Markusforschung des 20. Jhdt. überwiegend versuchte die offensichtlichen Disparitäten innerhalb der markinischen Christologie kontextuell, d.h. religions- und redaktionsgeschichtlich zu erklären und letztlich aufzulösen, versucht Malbon durch eine Analyse der Perspektivenstruktur eben diese Disparität als erzählerische Absicht zu erweisen: „It is the implied author who juxtaposes the christology of the Markan Jesus and the christology of the Markan narrator and other characters [...] The tension is essential to the narrative christology of Mark’s Gospel“ (S. 243).

Zugleich werden aber aus narratologischer Sicht auch die Grenzen der Arbeit, insbesondere ihres textimmanenten Ansatzes offensichtlich. Weil Malbon neuere Entwicklungen innerhalb der Erzähltheorie – wie vor allem den cognitive turn und die kritische Diskussion um den impliziten Autor (Rimmon-Kenan 1983, 87-89; Nünning 1993, 1–25; Kindt/Müller 1999, 273-287, Finnern 2010, 49-50) – unberücksichtigt lässt und teilweise sehr eigenwillige Analysewege beschreitet, lassen sich die Ergebnisse ihre Arbeit nur schwer innerhalb des heutigen interdisziplinären erzähltheoretischen Diskurses vermitteln und hätten theoretisch sowie methodisch präzisiert werden müssen.

2. Inhalt

2.1 „Introduction“

Lässt der Untertitel der Arbeit zunächst erwarten, dass sich Malbon vor allem auf die Aspekte der Figurenanalyse konzentriert, so wird der Leser bereits in der Einleitung des Buches gewahr, dass vor allem Aspekte der Perspektivenanalyse aber auch der Handlungsanalyse Anwendung finden sollen. Gerade weil die Amerikanerin ihre Arbeit in der Einleitung als eine dezidiert literaturwissenschaftliche verstanden wissen will, „my work is more literary than theological“ (S. 13), irritiert es jedoch, dass Malbon von Anfang an eine theoretische Reflexion ihrer methodischen Zugänge und vor allem der Charakterisierung ablehnt: „My question is, How does the Gospel of Mark characterize Jesus? not, How can characterization be theorized [...]“ (S. 13). Diese fehlende theoretische Reflexion ist umso bedauerlicher, als hierdurch vor allem neuere erzählwissenschaftliche Ansätze unberücksichtig bleiben. Demgegenüber stützt sich Malbon, wie für den narrative criticsm insgesamt typisch, nahezu selbstverständlich auf Chatmans frühes Einführungswerk „Story and Discourse“ (S. 7, 16, 232-234) und mit dessen Kommunikationsmodell zugleich auf Booths Konzept eines impliziten Autors (S. 233-234, 257 passim).

Dieses Modell des impliziten Autors besitzt in der weiteren Argumentation eine tragende Funktion. Durch die Einbeziehung dieser Instanz kann die Exegetin die in den folgenden Kapiteln schrittweise herausgearbeitete Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung Jesu und der Darstellung des Erzählers als erzählerische Absicht – eben als Absicht eines impliziten Autors – plausibel machen:

I regard the distinction between the narrator and the implied author as essential to perceiving and expressing Markan narrative christology. The practical need for this theoretical distinction became obvious as I realized that the Markan Jesus and the Markan narrator do not speak with the same voice (S. 233 -234).

In den fünf analytischen Kapiteln arbeitet Malbon die Diskrepanz zwischen der Perspektive des Protagonisten und des Erzählers heraus. Gerade bei der Strukturierung ihrer Analysekapitel wählt Malbon jedoch einen sehr eigenwilligen – lediglich auf allgemeinen Beobachtungen der Figurenanalyse fußenden – Ansatz:

Thus my investigation [...] is based on a fairly simple observation about characters in narratives: characters are known by what they say and by what they do and by what others (the narrator and other characters) say and do to, about or in relation to them (S. 14).

2.2 Enacted Christology: What Jesus Does

Das erste Kapitel widmet sich der Frage nach dem Handeln des Protagonisten. Hierbei strebt Malbon – anders als die Überschrift es vermuten lässt – keine Analyse der Handlungsverläufe oder einzelner Episoden an. Stattdessen nimmt sie zunächst eine überblicksartige Kompositionsanalyse des Markusevangeliums vor. Ein derartiges Vorgehen ist für den innerexegetischen Diskussionsstand jedoch keineswegs überraschend, da hier die Möglichkeiten einer umfassenden Handlungsanalyse noch weitgehend unbekannt sind. Überraschend ist hingegen, dass Malbon in ihrer Kompositionsanalyse kein einheitliches Modell präsentiert, sondern stattdessen vier mögliche Gliederungsversuche nebeneinander stellt. Obwohl sie diese ‚outlines‘ ausdrücklich als heuristische Lesestrategien einer modernen Interpretation versteht, „[m]aking an outline of a narrative is a heuristic task“ (S. 27), nutzt sie diese, um dem markinischen Text eine hohe Komplexität und literarische Qualität zu attestieren: “I presented several outlines to highlight the ‚hypertactic‘ plot of Mark’s Gospel, a plot in which actions and events are interconnected in complex ways that influence the discourse level of the narrative“ (S. 55). Dieses Fazit, das äußerst allgemein bleibt und sich nahezu auf jede Erzählung anwenden ließe, bleibt angesichts der umfangreichen Ausführungen unbefriedigend und erweist durch seine Allgemeinheit den methodischen Zugang der Kompositionsanalyse an dieser Stelle als unergiebig.

Erhellender ist hingegen – trotz mancher methodischer Ungenauigkeiten – die im zweiten Teil des ersten Kapitels vorgenommene Konfliktanalyse. Hier knüpft Malbon an ältere Studien an (Rhoads 1982; Myers 1988; Kingsbury 1989), ergänzt diese aber durch eine Differenzierung der Konfliktebenen. So unterscheidet Malbon zwischen einem background, einem middle-ground und einem foreground conflict. Im Hintergrund der Gesamterzählung verlaufe der für das Verständnis grundlegende Konflikt zwischen Gott und Satan, der ausschließlich über das Erleben und die Äußerungen des Protagonisten zur Sprache gebracht werde. Der Erzähler konzentriere sich hingegen darauf den Konflikt zwischen Jesus und den Autoritäten (middle-ground conflict) sowie den Konflikt zwischen Jesus und seinen Anhängerinnen (foreground conflict) darzustellen, die beide aus dem Hintergrundkonflikt resultierten und durch diesen verständlich würden.

Mit Hilfe der Konfliktanalyse verweist Malbon erstmals auf eine bestehende Diskrepanz zwischen der Absicht des Erzählers und des Protagonisten:

The Markan Jesus [...] takes a broader view than the Markan narrator, who paints the cosmic story of God as the background and clears the stage in order to narrow the spotlight’s focus on the central character, Jesus. But the central character, Jesus, continually draws the disciples, the fallible followers, and the implied audience into the broader story of God (S. 54).

2.3 Projected Christology: What Others Say

Im zweiten und zugleich umfangreichsten Kapitel analysiert Malbon die Perspektivenstruktur des Markusevangeliums. Hierzu stellt sie nacheinander vor, welche Hoheitstitel und Rollen der Erzähler und die einzelnen Figuren bzw. Figurengruppen Jesus zuschreiben und wie sich diese Projektionen im Verlauf der Erzählung weiterentwickeln: „[T]he implied audience [...] must attend to the further uses of ‚Christ‘ and ‚Son of God‘, as well as to the entire unfolding of the Markan narrative“ (S. 66).

Indem der Erzähler, der meist den Christustitel verwende, Jesus zu Beginn durch einen expliziten Kommentar als Sohn Gottes bezeichne, und indem diese Gottessohnschaft durch die Stimme Gottes sowie die Dämonen und unreinen Geister im Zuge der Exorzismen bestätigt werde, werde im Verlauf der Erzählung immer wieder auf die Rolle Jesu im kosmischen Kampf zwischen Gott und Satan verwiesen: „In terms of projected christology, the narrator, (God), and the unclean spirits and demons give witness to Jesus’ role in the cosmic struggle“ (S. 127).

Methodisch will Malbon im zweiten Kapitel auf Distanz zu einer rein historisch ausgerichteten Exegese gehen, die die Hoheitstitel nicht aus der Erzählung sondern primär aus dem Kontext bzw. aus der religionsgeschichtlichen Entstehungssituation des Evangeliums zu erklären versucht. Obwohl Malbon dafür plädiert die Begrifflichkeiten ganz aus der markinischen Erzählung heraus zu interpretieren, „it is really the Markan narrative itself that must provide the clues“ (S. 62), kommt sie letztlich nicht umhin, solche Vorverständnisse einzubeziehen und deren Bedeutung grundsätzlich anzuerkennen: „It would be impossible, of course, to ignore the ‚titles‘ [...] or to ignore their potential meanings in their broader cultural contexts for the Markan implied audience“ (S. 57). Wie sich historisch analysierte Vorverständnisse und narrative Analyse methodisch aufeinander beziehen lassen, beschreibt Malbon jedoch nicht. Hier stößt der textimmanente Ansatz des narrative criticism deutlich an seine Grenzen.

2.4 Deflected Christology: What Jesus Says in Response

Im dritten und vierten Analysekapitel geht Malbon auf die (im ersten Kapitel ausgesparte) Figurenrede und Perspektive des Protagonisten ein, wobei sie – ohne Begründung – zwischen kommentierenden („What Jesus Says in Response“) und zurückweisenden Äußerungen Jesu („What Jesus Says Instead“) unterscheidet.

Im dritten Kapitel widmet sich Malbon dem in der Markusexegese seit William Wrede breit diskutierten Forschungsproblem des ‚Messiasgeheimnisses‘ (Wrede 1901), demzufolge der markinische Jesus seine Messianität geheim halten will und den Dämonen aus diesem Grund immer wieder gebietet, ihn nicht als Sohn Gottes bekannt zu machen. Während ein Großteil der Exegeten dieses Motiv des frühesten Evangeliums textgeschichtlich betrachtet, d.h. als redaktionelle Einfügung versteht oder aus der vormarkinischen Tradition ableitet (Räisänen 1976; Pesch 1984, 36-47), reiht sich Malbon in eine Forschungstradition ein, die das Messiasgeheimnis als textpragmatisches Phänomen zu deuten versuchen (Watson 1985, 49-69; Theißen 1995, 225-245). Die Zurückweisung des zentralen Messiastitels füge sich hierbei gut in das Gesamtbild ein, das die implizite Zuhörerschaft (‚implied audience‘) vom Protagonisten habe. Ebenso wie durch die häufige Zitation der Heiligen Schrift, die Schweigegebote an Geheilte oder seine Worte am Kreuz, lenke der Protagonist auch durch seine Zurückhaltung beim Sohn Gottes Titel die Aufmerksamkeit von sich weg und gebe Gott allein die Ehre. Der Erzähler stelle im Kontrast dazu Jesus als Sohn Gottes und Christus in den Fokus seiner Erzählung und betone, dass Jesus trotz seiner Schweigebote von den Geheilten verehrt werde.

I am not asserting that the narrator’s point of view is dramatically at odds with the point of view of the Markan Jesus, but they are clearly distinguishable. The narrator boldly asserts that Jesus is the Christ, the Son of God. Jesus is reticent [...] Yet the Markan Jesus boldly proclaims the rule (kingdom) of God (S. 191).

Als erzählerische Absicht vermag Malbon diese Diskrepanz zwischen der Perspektive Jesu und des Erzählers zu verstehen, weil sie zuvor die – in der Exegese bisher selten beachtete – Differenzierung zwischen Erzähler und (implizitem) Autor eingeführt hat. Intention des impliziten Autors sei es, die implizite Zuhörerschaft in ihrem eigenen Nachdenken über Jesus anzuregen, statt ihr eine einheitliche Christologie zu bieten: „Thus the tension between the narrator and Jesus is not a problem to be resolved [...] but a narrative christological confession offered by the implied author to the implied audience as a challenge and a mystery“ (S. 258; vgl. 194; 216-217).

2.5 Refracted Christology: What Jesus Says Instead

Im vierten Kapitel, das sich erneut mit der Figurenrede Jesu auseinandersetzt, will Malbon zeigen, dass der markinische Jesus nicht nur die Aufmerksamkeit der Rezipienten von sich weglenke und damit Gott die Ehre gebe, sondern dass er zugleich die Christologie anderer Figuren und des Erzählers ‚breche‘: „[T]he Markan Jesus also refracts – or bends – the christologies of other characters and the narrator“ (S. 195). So verwende der markinische Jesus als einziger den Titel des Menschensohnes und benutze diese Selbstbezeichnung gerade dort, wo er in Konflikt mit Autoritäten und Dämonen gerate oder wo zuvor der Erzähler und in ihrem Urteil zuverlässige Figuren ihn als Christus oder Sohn Gottes bezeichnet hätten:

The Markan Jesus [...] silences the unclean spirits and Peter and breaks his own silence with the high priest – and for all the same reason: to turn answers into question, to refract the sometimes blinding light of the traditional ‚titles‘ into the colorful story of one who comes not to be served but to serve (S. 209-210).

Mit dieser These eines dem Standpunkt des Erzählers widersprechenden Protagonisten geht Malbon auf Distanz zu zwei exegetischen Forschungspositionen. So lehnt es Malbon gleichermaßen ab, die Selbstbezeichnung Jesu zu relativieren bzw. als uneigentlichen Titel zu ignorieren (so Kingsbury 1983, 157-172; 1989, 58-61) oder sie andererseits zum dominierenden und alle anderen Titel zusammenfassenden Terminus zu erklären (so Naluparayil 2000, 547).

2.6 Reflected Christology: What Others Do

Das letzte Analysekapitel stellt eine Untersuchung von in einzelnen Episoden wichtigen Figuren dar. In Anlehnung an ihre Kompositionsanalyse im ersten Kapitel untersucht Malbon dabei jene ‚minor characters‘, die an zentralen Punkten der Handlung auftreten und die die Amerikanerin als Identifikationsfiguren versteht. Diese hätten eine bleibende Wirkung auf die implizite Zuhörerschaft, indem sie vorbildlich agierten bzw. an ihnen die Wirkung der jesuanischen Verkündigung expliziert würden. Auffälligerweise stellt Malbon an dieser Stelle nicht dar, wie diese Identifikation präzise ermöglicht wird, sondern setzt eine solche schlichtweg voraus. Auch das Zustandekommen einer Rezeptionswirkung vermag sie nicht präzise zu beschreiben, sondern verweist hier nur auf das Faktum einer solchen Wirkung.

2.7 Implications

In der Zusammenfassung ihrer Arbeit versucht Malbon – nun vor allem in Auseinandersetzung mit anderen Arbeiten des narrative criticism und anderen literaturwissenschaftlichen Ansätzen – ihre Ergebnisse zu profilieren. Zeige sich in der bisherigen Exegese durchgängig die Tendenz, die Disparität der christologischen Perspektiven aufzulösen, indem eine redaktionelle oder erzählerische Dominanz einer Perspektive behauptet werde, versteht Malbon diese Diskrepanz als erzählerische Absicht des impliziten Autors.

Über die bloße Zusammenfassung hinaus versucht Malbon weitere Implikationen für die neutestamentliche Exegese aufzuzeigen. Hierbei konzentriert sich die Amerikanerin vor allem auf die scheinbare Unvereinbarkeit zwischen dem narrative criticism und der historischen Leben-Jesu-Forschung. Die Vertreter der historischen Jesusforschung zeichneten sich durch ein weitgehendes Desinteresse gegenüber den Ergebnissen literaturwissenschaftlicher Arbeiten aus: „Thus one finds in key English-language scholars of the quest for the historical Jesus little interest in or use of the results of narrative criticism“ (S. 245). Zugleich sieht Malbon die Möglichkeiten der historischen Rückfrage ihrerseits durch die Ergebnisse narrativer Arbeiten in Frage gestellt. Handele es sich bei den Evangelien um literarisch gestaltete Texte, so erweise es sich als fragwürdig, ob die in der Leben-Jesu-Forschung oft behauptete messianische Zurückhaltung auf den historischen Jesus zurückzuführen sei. Letztlich gibt Malbon zwar keineswegs die Hoffnung auf, dass sich historische Forschung und narrative Exegese zukünftig ergänzen könnten, vermag aber nicht zu zeigen, wie dies methodisch reflektiert geschehen soll:

Thus the tension between those who search for ‚Mark’s Jesus‘ and those who search for the ‚historical Jesus‘ may be as strong as the tension between the Markan Jesus and the Markan narrator. It remains to be seen whether this tension will be as creative (S. 256).

3. Einschätzung

Unter Berücksichtigung des bisherigen innerexegetischen Forschungsstandes hält Malbons Arbeit durchaus einige wichtige und weiterführende Differenzierungen bereit. Dies gilt vor allem für das zentrale Anliegen der Arbeit, die Multiperspektivität der markinischen Erzählung durch eine narratologische Analyse der Perspektivenstruktur zu erfassen, statt die bestehenden Diskrepanzen vorschnell aufzulösen. Auch das Bemühen, den Markustext seinem Erzählverlauf nach in den Blick zu nehmen und so die Entwicklungen der christologischen Zuschreibungen und Aussagen zu verfolgen, stellt einen wichtigen Neuansatz dar.

Nichtsdestotrotz zeichnet sich die Arbeit durch methodische Ungenauigkeiten aus, die nicht zuletzt auf den textimmanenten Grundansatz des narrative criticism zurückzuführen sind und letztlich in methodischer Hinsicht dessen Grenzen verdeutlichen. Symptomatisch tritt dies an der vorgeblichen Unvereinbarkeit von narrativer Analyse und historischer Rückfrage zu Tage, wobei Malbons Ausführungen zur Leben-Jesu-Forschung das Problem zudem nur ausschnittsweise beleuchten. Während die Möglichkeiten der Leben-Jesu-Forschung nämlich zweifelsohne durch den Tatbestand bewusster literarischer Gestaltung begrenzt werden, bleibt bei der Rezeptionsanalyse gerade eine Klärung möglicher Vorverständnisse notwendig. Diesem – von Malbon im zweiten Kapitel selbst bemerkten (vgl. S. 57) – Sachverhalt kann die Analyse aber nur gerecht werden, wenn sie sich von einem als reiner Textstruktur verstandenen impliziten Leser (und Autor) löst und einem – im Sinne des cognitive turn – intendierten bzw. historischen Rezipienten zuwendet.

Abschließend sei auf einige weitere Ungenauigkeiten der Arbeit hingewiesen, die innerhalb einer narratologisch ausgerichteten Exegese zukünftig zu vermeiden wären:



Aufgrund dieser und anderer Präzisierungsmöglichkeiten erweist sich Malbons Monografie letztlich nur als Zwischenschritt auf dem Weg zu einer erzählwissenschaftlichen Analyse der markinischen Christologie. Einen wertvollen Beitrag innerhalb des bisherigen exegetischen Diskurses stellt diese Arbeit aber allein schon aufgrund ihrer zentralen Thesen sowie ihrer gleichermaßen provokanten wie unkonventionellen Sprache dar.

Literaturverzeichnis:

Culpepper, Alan (1983): Anatomy of the Fourth Gospel. A Study in Literary Design. Philadelphia.

Finnern, Sönke (2010): Narratologie und biblische Exegese. Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28. Tübingen.

Kindt, Tom / Müller, Hans-Harald (1999): „Der ‚implizite Autor‘. Zur Explikation und Verwendung eines umstrittenen Begriffs“. In: Fotis Jannidis et al. (Hg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen, S. 273-287.

Kingsbury, Jack Dean (1983): The Christology of Mark’s Gospel. Philadelphia.

—, (1989): Conflict in Mark. Jesus, Authorities, Disciples. Minneapolis.

Malbon, Elizabeth Struthers (1991): Narrative Space and Mythical Meaning in Mark. Sheffield.

Myers, Ched (1988): Binding the Strong Man. A Political Reading of Mark’s Story of Jesus. Maryknoll.

Naluparayil, Jacob Chacko (2000): The Identity of Jesus in Mark. An Essay on Narrative Christology. Jerusalem.

Nünning, Ansgar (1993): „Renaissance eines anthropomorphisierten Passepartous oder Nachruf auf ein literaturkritisches Phänomen? Überlegungen und Alternativen zum Konzept des implied author“. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literatur und Geistesgeschichte 67, S. 1–25.

Pesch, Rudolf (1984): Das Markusevangelium 2. Teil. Herders Theologischer Kommentar II 2. Freiburg [et al.], S. 36-47.

Powell, Mark Allan (1995): „Narrative Criticism“. In: Joel B. Green (Hg.), Hearing the New Testament. Strategies for Interpretation. Grand Rapids / Carlisle.

Räisänen, Heikki (1978): Das Messiasgeheimnis im Markusevangelium. Helsinki.

Rhoads, David M. et. al (1982): Mark as Story. An Introduction to the Narrative of a Gospel. 2. Aufl. Minneapolis 1999.

Rimmon-Kenan, Shlomith (1983): Narrative Fiction. Contemporary Poetics, New Accents. London / New York.

Ryan, Marie-Laure (1991): Possible Worlds, Artificial Intelligence, and Narrative Theory. Bloomington.

Theißen, Gerd (1995): „Die pragmatische Bedeutung der Geheimnismotive im Markusevangelium. Ein wissenssoziologischer Versuch”. In: Hans G. Kippenberg / Guy G. Stroumsa (Hg.), Secrecy and Concealment, Studies in the History of Mediterranean and Near Eastern Religions. Leiden, S. 225-245.

Watson, Francis (1985): „The Social Function of Mark's Secrecy Theme“. In: Journal for the Study of New Testament 24, S. 49-69.

Wrede, William (1901): Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markus-Evangeliums. Göttingen.



Jan Rüggemeier, Wissenschaftlicher Angestellter
Eberhard Karls Universität Tübingen
Evangelisch-theologische Fakultät
Lehrstuhl für Neues Testament II
Liebermeister Str. 12
72076 Tübingen
E-Mail: jan.rueggemeier@uni-tuebingen.de
URL: http://www.ev-theologie.uni-tuebingen.de/index.php?id=319

Bitte zitieren Sie nicht die HTML-Version, sondern ausschließlich die PDF-Datei / Please do not cite the HTML version but only the PDF file:

URN: urn:nbn:de:hbz:468-20121115-154343-2

This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Unported License.